Ferien vom Ich
auszuspannen, sie hinaufzuheben, und ist so halb lachend, halb weinend bei uns eingeritten.
Am selben Tage noch kam Hoheit zu mir, um wegen der erhaltenen Ohrfeigen Beschwerde zu führen. Er sei - so sagte er - immerhin ein Kurgast, und Ignaz sei ein gemieteter Knecht. Er müsse gegen solche Behandlung Protest einlegen. Ich aber sagte: »Piesecke, ich habe so viel Wichtiges zu tun, daß ich mich wirklich nicht darum kümmern kann, wenn sich mal zwei unserer Kutscher prügeln.«
Darauf erhellte sich Pieseckes Gesicht, und er sagte: »Jawohl, ich sehe es ein! Wenn ich mich körperlich werde gekräftigt haben, werde ich ihm die Ohrfeigen zurückgeben.«
»Das müssen Sie«, erwiderte ich; »das gebe ich Ihnen auf; das werde ich Ihnen direkt in die Kurverordnung schreiben, lieber Piesecke!«
Sommerabend
Die Arbeit war getan; ich war frei. Eigentlich wollte ich ja hinauf zum Hirtenhaus, aber ehe ich mich’s versah, schlenderte ich doch wieder zum Forellenbauer hinab. Ich redete mir ein, ich müsse mich um mein Sorgenkind Piesecke kümmern, und so nebenbei könne ich ja auch nach Eva fragen, deren kranker Fuß allerdings von einem Kollegen behandelt wird. Das Mädchen saß vor der Haustür auf der grüngestrichenen Bank und putzte Gemüse. Sie heißt hier einfach »Hanne«. Einen Familiennamen führt sie nicht, ebensowenig wie Anneliese, die sich in »Bärbel« umgetauft hat.
Am Hoftor blieb ich stehen. Ein liebliches Bild! Abendsonne bestrahlte das schöne Mädchen, eine weiße Taube saß auf der Rückenlehne der Bank, ein goldgefiederter Hahn blinzelte mit seinen Äuglein zu dem Mädchen empor, wartend, ob für ihn etwas abfalle. Dann kam der große Zottelhund, wedelte mit seinem buschigen Schwanz den Hahn gutmütig, aber bestimmt zur Seite, nahm dessen Platz ein und saß in stummer Bewunderung vor der schönen Frau.
Und noch ein anderer schaute verliebt zu dem Mädchen hin, das war Piesecke, der an der Stalltür lehnte und eine Sense in der Hand hielt. Oh, den armen Piesecke scheint es ganz arg erwischt zu haben. Er verdrehte die Augen und seufzte einmal so laut, daß man es über den Hof hinweg hörte. Ich ärgerte mich über diesen Menschen.
Gleich wurde mir eine Genugtuung. Eine derbe Faust kam aus der Stalltür heraus, gab dem träumenden Piesecke einen Stoß in den Rücken, daß er samt seiner Sense in den Hof taumelte, und eine rauhe Stimme rief:
»Schlaf nicht, du Döskopp! Mach, daß du aufs Kleefeld kommst!« Die schöne Hanne blickte auf und lachte, Piesecke geriet in Wut, fuchtelte mit seiner Sense ein wenig vor der inzwischen geschlossenen Stalltür herum und ging dann niedergeschlagen über den Hof. Am Tor traf er mich.
»Das ist eine Gemeinheit«, sagte er und hatte Tränen in den Augen.
»Piesecke«, tröstete ich ihn, »ich bin Zeuge dessen gewesen, was jetzt vorfiel. Das ist gegen jede Ordnung, ist gegen den Sinn unseres Ferienheims. Der Knecht Ignaz hat sich gegen einen Kurgast solche Frechheiten nicht herauszunehmen. Ich werde energisch mit dem Bauern reden. Oder soll ich Sie auf einem anderen Hof unterbringen?«
»Um Gottes willen nicht«, rief Piesecke erschrocken; »ich -ich - da hielte ich’s ja gar nicht aus auf einem anderen Hofe ... ich - ich hab’ mich ja schon so - so - an den Grobian gewöhnt.«
Und er ging gesenkten Hauptes mit seiner Sense davon.
Ich begrüßte eben die blonde »Hanne«, da trat auch schon der Bauer Barthel aus der Haustür. Das war mir nicht lieb, und so sagte ich ein bißchen unwirsch:
»Barthel, das geht aber nicht, daß Sie Knechte mieten, die unsere Kurgäste verprügeln. Denken Sie mal, wenn das in der Öffentlichkeit bekannt würde! Da käme niemand mehr zu uns. Den langen Ignaz müssen Sie entlassen.«
»Ich kann nich, Herr Dukter«, erwiderte Barthel achselzuckend. »Ma kriegt so schwer ’n gutten Knecht. Kurgäste kriegt ma zehnmal leichter wie ’n Knecht. Und a Ignaz, den kenn’ ich vu Jugend uff, das is a ganzer Kerle. Der schofft’s! Wos sull ich machen, jetzt, wu die Ernte kummt? Ich kann doch nich die Ernte mit ’m Piesecke machen! Se sullten mal zusehn, Herr Dukter, wenn der Piesecke Gras haut. Bluß die Spitzen schneid’t er ab, de Sense fuchtelt immer in der Luft rum. Oder sie bleibt in eem Maulwurfhaufen stecken. Es ist jämmerlich!«
»Wie lange wird denn Herr Piesecke hier bleiben?« fragte Hanne.
»Das dürfte ich eigentlich nicht sagen«, erwiderte ich, »aber ich glaube, ein ganzes Jahr!«
»Um Gott’s willen!«
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