Ferien vom Ich
hoffentlich nicht wieder als Schaff benutzt?«
»Nee! Meine Alte hat das Bild abscheuern woll’n, aber da haben alle Kurgäste Lärm gemacht.«
»Die Zeichnung ist köstlich!« warf Eva ein.
»Wo ist denn das Schaff?«
»Oben in seiner Stube hat’s der Methusalem eingeschlossen. Aber ich hab’ ja ’n zweiten Schlüssel.«
»Holen Sie’s mal!«
»Wenn mich die Susanne erwischt, kommt sie gleich mit der Schmierseife und der Scheuerbürste hinter mir hergesaust.«
»Holen Sie es. Wir stehen Posten.«
Ich wußte, daß dieser Methusalem ein bekannter ausgezeichneter Karikaturist war. Als Barthel mit dem Schaff ankam und ich die Zeichnung sah, war ich entzückt. Ich sah ein Meisterwerk! Diese ganze pfiffige, durchtriebene, lachlustige, dicke Susanne lebte, atmete, schimpfte, lachte, kommandierte, pfiff auf der Zeichnung.
»Es ist herrlich«, rief ich; »'es ist zum Küssen schön!«
»Weib!« schrie da Barthel begeistert, »Weib, komm’ raus, der Doktor will dir ’n Kuß geben.«
Susanne kam heraus, sah das Schaff, kreischte, versuchte ihren wilden Angriff auf ihr Bildnis und erstarrte, als ich ihr sagte, wenn Herr Stefenson die Zeichnung sähe, würde er wahrscheinlich ein- oder zweitausend Mark dafür zahlen. Die erblaßte Susanne rief: »Ich kann doch keene so scheußliche alte Schachtel sein wie die da!«
»Das ist keine scheußliche alte Schachtel«, sagte Eva freundlich; »das ist eine sehr liebe, lustige Muttel!«
»Siehste, Alte«, höhnte Barthel, »wenn du um die ganze Welt reistest, ’s könnte dich keen Maler schöner uffmalen, als du eben bist. Aber ich bin nich eifersüchtig, wenn ooch der Methusalem fünf Tage hinter dir hergerast is wie verrückt.« Mit dieser rachsüchtigen Bemerkung schlug Barthel seine Gattin aus dem Felde.
»Holdrioho hoho!« jodelte einer draußen vor dem Tore. »Um Himmels willen«, rief Barthel, »das is der Methusalem. Wenn der spürt, daß ich in seiner Stube gewest bin! Der tausendjährige Kerl hat Kräfte wie ’n Bär.«
Und Barthel nahm das Schaff auf den Kopf und verschwand eilends im Hause.
Eva-Hanne sagte:
»Ich hab’ immer gern in meinem Leben gelacht, soviel aber wie in den drei Wochen, da ich hier bin, noch nie.«
»Lachen ist gesund.«
»Ganz gewiß. Ich sehe, wie alle um mich her täglich gesünder
und heiterer werden. Heiter kann man es zwar nicht nennen, mehr ausgelassen.«
»Ja, sehen Sie, Eva, die Ausgelassenheit ist nur ein ansteigender Talweg zu dem Berge der Gesundheit und des Glückes, die Heiterkeit ist der letzte, klare Gipfel. Zu ihm gelangen wir spät, erst, wenn wir lange und mühevoll gestiegen sind, erst, wenn es still und einsam um uns geworden ist, erst, wenn unsere Augen weithin sehen können, über alle Tiefen, die unter uns, und alle Höhen, die über uns waren.«
»Sind Sie selbst schon auf der Höhe?«
»Ich gewiß nicht. Ich bin nichts als ein Wegzeiger, der im Tale steht, die Hand ausgestreckt und sagt: Da geht es hinauf!«
»Vielleicht ist’s gut so«, meinte Eva nachdenklich; »wenn Sie selbst schon oben ständen, könnten Sie nichts anderes als winken. Und da würde sich mancher sagen: was will der winkende Mann auf dem steilen Gipfel; er ist wohl in Not und fürchtet sich allein dort oben?«
»Ich finde, Fräulein Eva, daß wir uns gut verstehn!«
Ich sah ihr heiß in die Augen. Ihr Blick begegnete mir freundlich, aber kühl. Dann senkte sie das Haupt und sah vor sich hin. Der lange Ignaz schlurfte vorbei. Er brummte einen Gruß und rückte kaum am Hut.
»Ein unfreundlicher Mensch«, sagte ich, nur um etwas zu reden. »Wenn er nur nicht mal Unheil anrichtet!«
»Der Bauer braucht ihn. Aber er ist mir auch manchmal unheimlich.«
»Holdrioho hoho!« jodelte es nun dicht vor dem Tore. Ein starker Kerl erschien, der brachte eine dicke Weibsperson auf einem Schubkarren gefahren.
»Das ist Methusalem«, belehrte mich Eva; »er bringt die dicke Cenzi vom Felde heim.«
Cenzi war - wie ich wußte - die Gattin eines Berliner Bankiers. In ihrem Dirndlkostüm sah sie ein wenig schnurrig aus. Methusalem fuhr seine holde Last bis in die Mitte des Hofes, kommandierte »Alles aussteigen!« und kippte den Schubkarren um. Cenzi quiekte, überkugelte sich zweimal, kam dann jauchzend auf uns zu in einer merkwürdigen Gangart, die etwa so aussah, wie wenn eine Ente den Trippelschritt einer Taube versucht, und sagte: »Denken Sie, der schlechte Mensch; auf dem Schubkarren fährt er mich, aber zeichnen mag er mich nicht!«
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