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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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Nun, Piesecke, es wäre doch ein kolossaler Witz, wenn aus Ihnen noch mal ein brauchbarer Kerl würde! He? Sie müssen selbst darüber lachen! Und für mich wäre es gut - wegen Ihrer Familie. Also versuchen wir’s halt. Gelingt’s, freue ich mich; gelingt’s nicht, schmeiße ich Sie raus!«
    »Wahrscheinlich werden Sie mich rausschmeißen!« sagte Piesecke nachdenklich.
    »Sie sind ein schlechter Pessimist, Piesecke! Sehen Sie, wenn Sie ein bißchen Philosophie im Leibe hätten, müßten Sie wissen: es gibt keinen grimmigeren Spaß, als ein Pessimist zu sein und über den Pessimismus zu lachen!«
    »Wie? Bitte, schreiben Sie mir den Satz auf!«
    »Gern!«
    Ich schrieb den Satz auf einen Zettel, übergab ihn Piesecke und sagte:
    »Stecken Sie sich dieses Wertpapier in Ihre Jackentasche und verlieren Sie es nicht! Und nun werde ich Ihnen noch etwas sagen, Piesecke! Sie werden höchstwahrscheinlich nach acht Tagen bei uns ausreißen wollen. Sie sind gar nicht imstande, bei uns zu bleiben und das Gesundungsleben durchzuführen. Dazu fehlt Ihnen die Willenskraft. Und um nicht unnützerweise acht Tage lang meine Zeit mit Ihnen zu vergeuden, werden wir einen notariell aufgenommenen Kontrakt machen. Er wird kurz sein und lauten:
    Falls ich nicht ein Jahr lang im Waltersburger Kurheim >Ferien vom Ich< aushalte oder mich den Anordnungen des dirigierenden Arztes nicht füge, zahle ich eine Million Mark Reugeld.«
    »Was?« schrie Max Piesecke. »Wenn ich so etwas tue und mein Bruder erfährt es, schlägt er mich tot!«
    »Schön! Dann habe ich nicht mehr nötig, Sie zu kurieren.« Piesecke sank in sich zusammen.
    »Ich bin immer Erpressern in die Hände gefallen«, jammerte er.
    »Morgen nachmittag viereinhalb Uhr wird der Notar hier sein«, entgegnete ich ruhig; »Sie werden dann entweder das von mir aufgesetzte Abkommen unterzeichnen oder Ihrer Wege gehen.«
    »Ferien vom Ich!« stöhnte Piesecke; »ich habe gar keinen Willen mehr.«
    Am nächsten Tage, um 4.35 Uhr, unterschrieb vor dem Notar, meinem Vertrauten, Max Piesecke das von mir gewünschte Abkommen mit seinem hochfürstlichen Namen. »Nun passen Sie mal auf, Piesecke«, sagte ich, »jetzt wird noch was aus Ihnen!«

    All unsere Höfe sind mit Kurgästen besetzt. Wir haben soviel Anmeldungen, daß wir die Wahl hätten, wen wir aufnehmen wollen, aber wir gehen der Reihenfolge der Anmeldungen nach. Ich habe von früh bis spät Arbeit, obwohl unser Ärztekollegium immer größer wird. Es lastet zu viel Geschäftliches auf mir. Das drückt auf die Seele; denn ich bin kein Kaufmann. Was tut mir doch dieser Stefenson an, daß er gerade jetzt, wo er hier am nötigsten wäre, in Amerika sitzen bleibt? So viel ich auch schon an ihn schrieb und telegraphierte, er kommt nicht zurück. Immer die gleiche Antwort: »Ich bin hier noch unabkömmlich.«
    Unser Direktor - ein früherer Offizier - ist zum Glück ein tüchtiger Mann. Es ist Schwung in seinen Gedanken, er hat Initiative und Spürsinn. Wie ein guter Jagdhund ist er, er hat’s in der Nase, wenn er über das weite Gelände unseres Arbeitsfeldes schnuppert, wo irgendwo in einer geheimen Furche ein verborgener Erfolg aufzustöbern ist. Er ist aus dem Holz, aus dem die guten Feldherren, Diplomaten, Kaufleute geschnitzt sind. Die leitet alle ein unfaßbarer Instinkt, eine Art sechster Sinn, den andere Leute nicht haben.
    Der Direktor heißt von Brüsen und wird wegen seines würdevollen Auftretens von den Kurgästen »der Herr Präsident«, von den Angestellten aber »der Direks« genannt. Oft habe ich bei seinen Maßnahmen das Gefühl: genauso würde Stefenson gehandelt haben. Brüsen ist auch von Stefenson angestellt worden. Mein Geschäftsfreund hat den Offizier a. D. mal irgendwo kennengelernt, sich mit ihm etwa zwei Stunden unterhalten, dabei - wie er schrieb - gefunden, »daß sich dieser Mann zwei verschiedene Dinge auf einmal vorstellen könne, was nur sehr wenig Menschen vermöchten«, daß er ferner »zu klug sei, um die Alltagsklugheit zu haben«, daß er nicht in den Doppelsohlenstiefeln ängstlicher Vorsicht einherstampfe, in denen man von hundert Schnellfüßlern überholt werde, und daß er von guter, zäher Geistesmuskulatur sei. So hat Stefenson die Adresse dieses Herrn gemerkt und ihn für uns nun an den Tag gezogen. Es ist ein Glück, daß dieser Direktor da ist. Was täte ich ohne ihn? Einen Entscheid fällt er fast nie sofort. Er will, wenn es sich um wichtigere Angelegenheiten handelt, immer einen Tag

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