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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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geschah, oder wenn er einer heimlich geliebten, schlummernden Dame sein Troubadourlied singt; wie rührend, wenn ein gefeierter Schauspieler voll Lust und mit nie ermüdender Emsigkeit seine Gärtnerarbeit verrichtet; wie ergreifend, wenn der Allerhöchstgeborene Herr, dessen Wink das ganze Land gehorcht, auf dessen Stimmungen die Welt achtet, im demütigen Bauernkleide, von niemand erkannt, seiner ländlichen Tätigkeit nachgeht! Wahrlich, die Kuranstalt >Ferien vom Ich< ist ein Triumph der Menschheit, ist der Sieg über das Unglück, ist ein Paradies auf Erden!«
    Als ich diesen Erguß in den Zeitungen las, wußte ich: auch unser Propagandachef war ein Dichter. Einer von blühender Phantasie.
    Hoheit kam zu mir und fragte:
    »Sagen Sie mal, Doktor, ist denn unter den paar Männchen, die hier bei Ihnen rumkrauchen, etwa der König von England oder von Italien drunter?«
    »Gewiß nicht, Hoheit.«
    »Ja, wer ist denn da mit dem Allerhöchstgeborenen Herrn gemeint, auf dessen Stimmungen die Welt achtet?«
    »Ew. Hoheit selbst.«
    Hoheit prusteten los und kriegten einen Hustenanfall. Nachher sagten Hoheit:
    »Verfluchter Kerl, ihr Propagandachef, er macht was aus einem!« -
    Der Erfolg der Reklamenotiz war riesenhaft. Es wurden achtzigtausend Prospekte von uns angefordert, und es meldeten sich über dreitausend Kurgäste an. Ob der nachtwächternde Heldentenor oder der ackerbauende Fürst die größere Anziehung ausübte, war nicht zu entscheiden. Flugs erschien in Hunderten von Zeitungen folgende Notiz: »Kuranstalt >Ferien vom Ich<, Waltersburg. In einer Woche 83 000 Menschen, die an die Pforten unseres Heims anklopften!!! Auf absehbare Zeit können wir trotz unserer riesigen Anlagen neue Gäste nicht aufnehmen, da jeder unserer Feriengäste ganz individuell behandelt werden muß. Vornotierungen aber zulässig.«
    Diese hochmütige Kürze tat noch größere Wunder. Unser Büro konnte die Berge von Zuschriften nicht im geringsten mehr bewältigen. Ich telegraphierte unsere fabelhaften Erfolge nach Amerika. Und wieder traf die Antwort ein: »Hatte ich mir gedacht!«

    Hoheit ist ein recht liebenswürdiger Kurgast. Hoheit ist überhaupt einer, der seiner zu großen Nachsicht gegen sich selbst die Erschlaffung seiner Nerven verdankt. Wir Arzte drücken das höflich aus: Er hat zu konzentriert gelebt. Es ist schön, daß wir unsere fachmännischen Ausdrucksformen haben; denn es würde sich stilistisch nicht gut ausnehmen, wenn man sagte: Hoheit ist vielleicht eine ganz gute Haut, aber ein bißchen Schweinekerl und Lüderjan!
    Also, Hoheit haben zu konzentriert gelebt und sind vielleicht nur zu uns gekommen, weil sie hier ein Feld für originelle Extravaganzen wittert. Rares wittert. Alles andere liegt hinter diesem Mann, schwere Familienratsbeschlüsse, unfreiwillige Reise um die Erde, zeitweilige Verwendung in den Kolonien, Aussöhnung mit dem Familienchef, abermaliges Fallen in Ungnade, morganatische Ehe, Scheidung, Schulden, Zeitungsskandale und was so zum Bilde des tollen Prinzen gehört.
    Drei Tage hat Hoheit in der Besinnungseinsiedelei zugebracht und mir einen Lebensbericht eingereicht, über den mir die Haare zu Berge gestanden haben, obwohl ich als Arzt und Weltumsegler ja gerade nicht unerfahren und prüde bin. Am Schluß stand: er habe sich eigentlich erschießen wollen, aber er könne ja noch mal diese »neue Chose« probieren, ob ihm noch ein bißchen Geschmack am Leben beizubringen sei. Das Leben komme ihm so eklig und wertlos vor wie ein alter, schmutziger Kupferdreier, für den man keine Zwiebel mehr zu kaufen kriegt. Er gebe sich ganz in meine Hand, wolle alle Arbeit tun und bitte, mit ihm recht rauh zu verfahren; es sei ihm immer am wohlsten gewesen, wenn ihm gelegentlich mal sein hoher Bruder, Landesherr und Familienoberhaupt, ein paar Ohrfeigen angeboten habe. Dann habe er auf Sekunden das Gefühl gehabt, daß er und sein Leben noch ernst genommen werden können. Heißen wolle er Max Piesecke. -
    »Also, lieber Piesecke«, sagte ich in der Sprechstunde zu ihm, »daß Sie ein großer Lumpenkerl sind, wissen Sie und brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Höchstwahrscheinlich läßt sich mit Ihnen nichts mehr anfangen. Erschießen werden Sie sich nicht, dazu fehlt Ihnen die Courage. Aber miserabel zugrunde gehen werden Sie! Es wird weh tun, Piesecke; Sie werden die Wände auskratzen, ehe Sie hin sind! Aber, Piesecke, sehen Sie - ich glaube, ungefällig sind Sie nicht. Sie haben auch noch Sinn für Humor.

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