Ferien vom Ich
verliert dabei seinen Pantoffel und bemerkt, daß der Dackel die Hosenträger jählings losläßt, sich auf den Pantoffel stürzt und mit ihm unter dem Bette verschwindet. Mag er. Mag er ihn zerfressen! Der Pantoffel gehört der Kurverwaltung. Und der Dackel ist ihm oktroyiert! Einfach oktroyiert! Er hat Hunde nie leiden mögen. Schon gar nicht als Schlafkumpane. Er hat sie immer als wandelnde Flohfabriken verabscheut. Methusalem hat neulich einen »wissenschaftlichen« Vortrag im Rathaussaal gehalten und vorher durch öffentlichen Anschlag angekündigt. Das Thema lautete: »Kann der Mensch (homo sapiens) von dem Hunde (canis familiaris) einen Floh (pulex irretans) erhalten?« Er - Amtsgerichtsrat Dr. - nein, Gottfried Stumpe, hat den Blödsinn nicht mitmachen wollen. Zuletzt hat er gerade an dem Vortragsabend rein gar nichts vorgehabt und - um die Zeit totzuschlagen -hingehen wollen. Aber da hat es geheißen: der Saal sei überfüllt, die Polizei lasse niemand mehr zu. Tags darauf hat am Rathaus eine »Rezension« des Methusalemschen Vortrags ausgehangen. Am Schluß hat es da geheißen: »So wies der Vortragende in seiner lichtvollen, hinreißenden Art aufs überzeugendste nach, daß Hunde- und Menschenfloh zwei ganz verschiedene Spezien sind, daß es einem Hundefloh niemals einfalle, die schön behaarten Jagdgründe seiner tierischen Pfründe freiwillig zu verlassen, um auf dem glatten Parkett der Menschenhaut unglücklich zu debütieren; daß dem Hundefloh das tierische Blut viel besser munde als das menschliche; daß ein bei einem Menschen gefundener Hundefloh eine außerordentliche Ausnahme, einen armen Verirrten darstelle, der höllisch an Heimweh leide, kurz, daß wohl ein Dackel von einem Menschen einen Floh bekommen könne, aber nicht umgekehrt. Eine Resolution, die darauf hinausging: die Mitglieder der Versammlung als Angehörige der Kulturwelt seien fest entschlossen, den alten Aberglauben, daß ein pulex irretans vom canis familiaris freiwillig zum homo sapiens übergehe, auszurotten, wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen. Die ohnmächtige geringe Opposition wurde ausgelacht.«
Das war also ein »wissenschaftlicher Vortrag« in diesen Ferien vom Ich!
Verrückt ! Aber alles Volk lief hin, Herren und Damen ! Rauften um die Plätze!
Nun hat das Biest, der Dackel, den Pantoffel wirklich zerfetzt. Er guckt - mit elenden Plüschüberresten in der Schnauze - höchst durchtrieben unter dem Bette hervor, und seine weit aufgerissenen Augen fragten: Gibt es nun Keile oder nicht?
Er schlägt ihn nicht. Mag Vater Barthel neue Pantoffel besorgen. Er regt sich nicht auf. Dazu ist er nicht da. Früher würde er gekollert haben. Jetzt nicht mehr. Er ist Gottfried Stumpe, dem solche Kleinigkeiten egal sind.
Der Dackel versteckt inzwischen die Zeichen seiner Schandtat weit unter dem Bett, dann kommt er näher, macht ein äußerst treuherziges Gesicht, wedelt mit dem Schwänze und bietet das Bild unverdächtigster Harmlosigkeit. Gottfried sieht ihn an, beschließt, die abscheuliche Heuchelei zu übersehen, und sagt einfach und gelassen: »Du bist ein Schweinekerl !«
Der Dackel blinzelt nach dem Fuße, auf dem sein »Herrchen« in bloßen Socken steht, nimmt den »Schweinekerl« als etwas ganz Selbstverständliches hin und springt dann zärtlich an dem von ihm liebreich geneckten Manne in die Höhe. Und der schabt ihm freundlich den Nacken, dort, wo das Fell so lose sitzt wie ein viel zu weiter Anzug.
»Gottfried, mähren Sie nicht wieder so lange beim Anziehen ! Sie erkälten sich!«
Das war Vater Barthel. »Mähren« hatte er gesagt. Der Mann war nicht satisfaktionsfähig. Wenn ihm früher mal einer »Mähren Sie nicht so lange!« gesagt hätte! Zum Beispiel, als er in Sachen Pimpel contra Karsubke wegen eines Objekts von drei Mark und fünfzig Pfennig neun Termine ansetzte, von dem der letzte drei Stunden dauerte!
Tja - Ferien vom Ich!
Der Treppenflur ist durch den gelbroten Schein von Petroleumlampen erleuchtet. Petroleum ist ein Licht, das aus der Erde gequollen ist. Darum ist es wahrscheinlich so warm. Leute, die um eine Petroleumlampe sitzen, sehen alle aus wie Bergvolk, das im Innern der Erde haust - halbbeleuchtete Höhlengesichter, die sich an den dunkel bleibenden Wänden doch hell abheben. Alles im Zauberschein stillen, trauten Zu-sammenhockens, ein Wissen und Bekennen: draußen ist Nacht: Alles andere, grellere Licht lügt den Tag vor.
Im Hausflur unten sagt die hübsche Magd Emilie:
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