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Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
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voll Schönheit. Immerzu, immerzu ging es vorwärts. Da drang ein Läuten aus der Tiefe. Irgendein Vineta lag drunten auf dem Grund, da gingen die Glocken. Nun wurde ein lichter Schimmer am Horizont sichtbar. Dort lagen die weißen Berge des Morgens. Und im Morgenlande lag die Heimat.
    Da fielen dem Träumer die Augen zu - er stieg herab von dem dunklen Schiff -, stieg ans lichte Land und war zu Hause. Weib und Kind waren bei ihm, und die guten Freunde kamen und schüttelten ihm die Hände.
    Er erzählte ihnen, wo er gewesen sei.
    Da klopfte es an die Tür.
    »Gottfried, stehen Sie auf, es ist halb sieben Uhr!« Gottfried rieb sich die Augen und besann sich. Richtig, er war nicht auf einem Wolkenschiffe, er war auch nicht zu Hause, er war Kurgast im Ferienheim, richtiger gesagt Bauernknecht auf dem Forellenhofe.
    Sechseinhalb! Es war noch ganz dunkel in der Stube. Und kalt war es. Ein feiner Regen spritzte ans Fenster. Jetzt wäre es wohlig, noch eine oder zwei Stunden zu schlafen. Ach, bloß noch ein paar Minuten! Sacht beginnt »Gottfried« wieder einzuschlafen. Aber in dem Augenblicke, da sich das Bewußtsein vom letzten Faden lösen will, schrickt er auf und springt mit beiden Beinen aus dem Bette. Er wird sich doch nicht von dem Barthel - dem Bauern - einen Meldezettel an den Arzt schreiben lassen wie ein Schuljunge, der was »pexiert« hat, von seinem Lehrer. Dieser Barthel ist ein ganz netter Kerl, aber er »klemmt« einen sofort, falls man über die Hausordnung hinweggeht. Und es ist so blöd, sich dann beim Doktor entschuldigen zu müssen. Unglaublich, wie leicht ein Mensch in die alten Pennälerängste zurücksinken kann. Also aufstehen! Beim Anziehen hält man sich hier nicht lange auf, es ist zu kalt in der Bude. Auch das Waschwasser ist kalt. Warmes müßte extra verordnet werden. Und man schämt sich hier unglaublich, wenn man so etwas wie verfeinerte Bedürfnisse erkennen lassen will. Es paßt nicht zu einem, wenn man Gottfried Stumpe heißt. Eigentlich war’s doch schön im Traume, so plötzlich zu Hause zu sein. Wie sie alle zärtlich und besorgt waren und nach den Augen schauten, ob da ein Wunsch abzulesen sei. Hier war das anders, hier hieß es nicht wünschen, sondern gehorchen. Ein Wunder war’s ja nicht, wenn man manchmal ein bißchen Heimweh hatte, zumal man fast gar nichts von Hause erfuhr. Gestern war eine Postkarte gekommen, nach sechs Wochen die erste Nachricht. »Lieber Mann! Bei uns ist alles wohl, und es ist alles in guter Ordnung. Wir denken Deiner in Liebe und haben nur den einen Wunsch, daß Du Dich völlig erholst. Mit treuen Grüßen Dein Weib und Deine Kinder.« Das war alles. Es war ja eigentlich genug, es war ganz nach dem Herzen der Kurdirektion; aber Details fehlten gänzlich. Ob nun Fritzchen im Griechischen auf das volle »Genügend« gekommen war, ob Lenchen während der Ferien zum Großvater reiste, ob der Kollege Neumann sich wirklich den Adlerorden erschlichen hatte, wer Stadtverordnetenvorsteher geworden war, wie die Elektrizitätsaktien standen - ah, kein Wort! Das ging ihn wahrscheinlich nichts an, ihn, den Knecht Gottfried Stumpe. Auf die gewohnte Anrede »Herr Amtsgerichtsrat« hatte er beinahe völlig vergessen. Sie war ihm wie ein Klang aus sagenhafter Zeit. Er war einfach Gottfried.
    »Gottfried«, hatte gestern die dicke Susanne gesagt, »helfen Se mir mal meine Brille suchen; ich hab’ mir se verlegt und muß die Butterrechnung schreiben.«
    So wurde man sogar zu persönlichen Dienstleistungen herangezogen. »Man«, der Herr Amtsgerichtstat! Wie oft sich überhaupt dieses Weib, die Susanne, die Brille verlegt, ist unglaublich. Methusalem hat ihr jetzt eine Art Soldatengurt gestiftet, daran hängt wie eine kleine Säbelscheide das Brillenfutteral. Da soll sie ihre Augenwaffe immer bei sich haben. Aber sie trägt das Koppel nicht, sie hat es dem Methusalem um die Ohren schlagen wollen.
    Dieser Methusalem ist ein ganz netter Kerl; nur, er erlaubt sich zuviel Frechheiten. Ihn, den Amtsgerichtsrat, hat er gezeichnet. Aber nur von hinten. Er sagt, er hätte einen interessanten Rücken.
    Das Waschwasser ist abscheulich kalt. Und der Spiegel ist klein. Von ordentlichem Frisieren ist keine Rede. Den Nackenscheitel hat er längst aufgegeben.
    Richtig, jetzt kommt noch das Schandvieh, der vom Doktor verordnete Dackel, verbeißt sich in die herabhängenden Hosenträger und zieht und zerrt daran. »Man« macht eine Bewegung, wie Pferde, die nach hinten ausschlagen wollen,

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