Ferien vom Ich
Sammlungen einverleibt und zeugt von der Schlacht auf unseren Gemarkungen, die sich gegen den Erbfeind Neustadt abgespielt hat.
Piesecke hat an jenem Abend grollend am Bachrand gesessen, triefend vor Nässe, und alle Schwachheit und Feigheit der Kämpfenden sowie die Niedertracht der nicht in den Kampf eingreifenden Teile seines Heeres mit einem einzigen, aus seinem hochfürstlichen Mund hervorzischenden Wort charakterisiert: »Plebs!«
Herbst
Das erste Halbjahr, da das Ferienheim in Betrieb ist, geht zu Ende. Wenn ich es überschaue, erfüllt mein Herz rechte Befriedigung. Nicht nur der äußeren Erfolge wegen. Unser Unternehmen steht glänzend da. Wir haben lange nicht alle aufnehmen können, die zu uns kommen wollten. Die Ernte auf den Feldern und in den Gärten war gut, unsere Bauern sind zufrieden, und unsere Kassen und Kasten sind gefüllt. Vieles, ja das meiste verdankt dieser äußere Erfolg der glänzenden Organisation, die Stefenson dem Ganzen gegeben hat und die er von Amerika aus geleitet und weiter ausgebaut hat, wenn auch der Sonderling noch immer nicht nach Europa zurückgekehrt ist. Was mich als Arzt und Mensch am meisten freut, ist der Umstand, daß kaum einer unserer Kurgäste ohne großen gesundheitlichen Gewinn von uns fortgezogen ist. Das bestätigt meine eigene Erfahrung, das bestätigen meine Kollegen, das sagen vor allem unsere Kurgäste selbst, die schweren Herzens Abschied nehmen, wenn ihre Zeit abgelaufen ist. Wenn sie nach dem Rathaus kommen, ihre Uhr, ihr Geld zurückerhalten, liegen diese Dinge kalt und fremd in ihren Händen, und wenn sie im »Zeughaus« ihre eigenen Kleider wieder anlegen und, ohne noch einmal umkehren zu dürfen, durch die große Hinterpforte auf die Straße gelassen werden, wo der Wagen wartet, stehen die meisten befangen da wie ängstliches Volk, das zum ersten Male in die Welt zieht. So sicher, geborgen und heimisch haben sie sich in ihren Ferien vom Ich gefühlt.
Sie schreiben alle freundliche Briefe des Dankes und guten Erinnerns und sagen, daß sie draußen unsere Anstalt preisen, und wenn sie dem oft gehörten Einwand begegnen, es sei wohl doch eine etwas kindliche, theatralische Sache, so beklagten sie alle diejenigen, die nicht wüßten, wie herzstärkend und verjüngend die Rückkehr zu kindlicher Schlichtheit sei und wie sie gerade vom Theatralischen erlöse, von der bösen, so raffiniert eingeübten und so schwer zu spielenden, immer aber im tiefsten Grunde erfolglosen Theaterei unseres Lebens . . .
Auch diejenigen, die organisch leidend waren, haben durch
gewissenhafte ärztliche Kunst, sowie durch die Gemütsruhe und Herzensheiterkeit, die sie umfing, die besten Erfolge gehabt.
Der Sommer war gut; es mag Herbst werden. Die Fröhlichkeit stirbt deswegen nicht aus.
Diese großen Kinder der Welt fühlen hier alle die tiefe Schönheit des Herbstes, von dem sie früher nichts wußten, als daß mit seiner Ankunft »Neuanschaffungen« nötig seien, die Gasrechnungen höher wurden und die Theater- und Konzertsaison beginne.
Nach Andeutungen und Schilderungen eines unserer Kurgäste will ich schildern, wie ein Herbstmorgen im Ferienheim verläuft. Der Herbstwind hat gesungen die ganze Nacht. Und wie er an den Fenstern rüttelte und welkes Laub und dürre Zweige an die Scheiben warf, hat sich das Menschlein fest in die Decke gehüllt und mit großen Augen ins Dunkle gestarrt. Langsam ist seine Phantasie an Bord eines schwarzen Wolkenschiffes gegangen, das durch das kalte Meer des Himmels fuhr zu einem unbekannten Ziele. Ein schwarzer Mann stand am Steuer des Schiffes; müde, schweigende Seelen lehnten oder saßen an seinen Bordwänden. Lautlos glitt das Schiff. Nur der Sturm sang seine Melodie, und wilde Gänse schrien ihr Sehnsuchtslied in den Wind. Sie folgten dem Schiff wie große Möwen, und ihr weißes Gefieder zuckte gespenstisch durch die Nacht. Unter dem Wolkenschiff war der große Ozean der Luft. Menschenhäuser lagen wie Muscheln auf dem Meeresgrund, die Wälder standen wie seltsames wirres Gewächs wilder Schlingpflanzen, manchmal ragte ein Berg auf wie eine Insel, um die das Wolkenschiff herumschwimmen mußte. Von der Insel glimmte das Licht einer Berghütte her wie der Schimmer einer Lampe aus einsamem Strandhaus. Ein Felsen ragte auf wie eine Klippe, an der ein unvorsichtiges Schiff zerschellen kann. Das Luftmeer rollte, grollte, stampfte, es schleuderte die schwarze Flotte der Nacht hin und her. Die wilde Fahrt war voll Grausen, aber auch
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