Ferien vom Ich
verunzieren, sondern fleißig Holz zu hacken. In diesem Augenblick trat der Briefträger in die Stube. Er hatte eine riesige Tasche umgehängt, und in dieser Tasche steckte ein einziger Brief.
»Herrn Methusalem auf dem Forellenhof.«
Methusalem öffnete den Brief, las und sank mit einem Seufzer wie ohnmächtig auf die Ofenbank. Die Weiber quiekten, am lautesten Susanne. Barthel hob den auf den Fußboden gefallenen Brief auf und las ihn ohne weiteres vor:
»Sehr geehrter Herr!
Ihre von der gesamten Fachkritik glänzend beurteilte Zeichnung >Bäuerin auf dem Schaffboden< ist heute für den Preis von fünftausend Mark verkauft worden.«
Die Ausstellungsleitung.«
Große allgemeine Verwundernis.
Frau Susanne wurde knallrot. Dann hielt sie sich die Leinwandschürze vors Gesicht. Barthel aber klopfte ihr auf die Schulter und sagte:
»Mutter, schäm’ dich nich! Was kannst du dafür, daß du so ’ne interessante Frau bist!«
Methusalem erholte sich, stand auf und bot ein Bild des Jammers.
»Kinder«, sprach er mit zerknirschter Stimme, »ihr alle kennt mich und werdet daher Mitleid mit mir haben. Neunhundert -achtundneunzigeinhalbes Jahr bin ich alt; eineinhalb Jahr habe ich bloß noch zu leben. Und nun werd’ ich plötzlich ein Krösus. Daß ich in der kurzen Spanne Zeit meines irdischen Wallens nicht die Riesensumme von fünftausend Mark ausgeben kann, werdet ihr einsehen. Und doch muß sie mangels jeglicher Leibeserben weggeschafft werden. Ihr könnt glauben, daß dieser Fall mein Gemüt hart bedrückt. Doch werden wir Mittel und Wege finden, hier so lange Feste zu feiern, bis ich von dem Alp des Geldes erlöst bin.«
Gegen diese Auffassung hielt nun Barthel eine zornsprühende Rede über Sparsamkeit, Mäßigkeit und Unvernunft. Manche stimmten ihm zu, andere widersprachen ihm, es gab ein erhebliches Durcheinander. Inzwischen ging Frau Susanne immerfort mit roten Wangen und schämig flimmernden Augen hin und her. »Denken Sie doch, Frau Susanne -fünftausend Mark - in München auf der Ausstellung! Für Ihr Bild!«
»Ruhe!« kommandierte Barthel. »Wir müssen wieder an ernste Dinge denken. Ekkehard, Sie nehmen einen Schubkarren, fahr’n runter nach Waltersburg zum Kaufmann Scholz und hol’n das Fäßchen Heringe ab, das ich bestellt hab’. Lassen Sie sich’s aber recht festbinden, daß es nicht runterkugelt!«
»Jawohl!«
»Thusnelda, Emilie, Karlotti, Strunzei und Eva helfen beim Buttermachen.«
Vierstimmiger piepsiger Frauenchor: »Jawohl!«
»Knusperhase, Friedrich Schiller, Li-Hung-Tschang und Fuhrmann Henschel werden Apfel pflücken. Bärbel und die lustige Witwe werden die Appel nach der Appelkammer tragen.«
Septett: »Jawohl!«
»Der alte Dessauer hat Jagdurlaub bis zum Abendbrot; das Veilchen im Winkel wird helfen, die Heringe einzumarinieren, die Ekkehard bringt; Piesecke kommt zwei Stunden lang an die Jauchenpumpe; Andreas Hofer, Moritz Arndt, Fitzli-butzli, der Knecht Elieser, Ali Baba und Jeremias Gotthelf gehen zum Ackern aufs Rübenfeld. Lene und Joachim Hans von Zieten helfen beim Rübenabkloppen. Fehlt noch jemand?«
Herr Amtsgerichtsrat Doktor - nein Gottfried Stumpe, erhob sich.
»Ich!«
»Ach so - Sie, Gottfried! Nu, Sie helfen auch beim Rübenabkloppen.«
Gottfried erblaßte. Zu widersprechen wagte er nicht. Er hörte nur noch mit beißendem Ingrimm, daß Barthel den Methusalem aus Anlaß seines Briefes einen Tag beurlauben wollte. Methusalem aber wies die Ehre zurück. »Nimmermehr!« rief er pathetisch, »denn sehen Sie, Vater Barthel, eine ungeheure Lebenslust, ein Kraftüberschuß durchströmt plötzlich meinen fast tausendjährigen Leib. Ich komme mir vor wie ein Fünfunddreißigjähriger. Wo soll ich hin mit der Freud’? Austoben muß ich mich. Und das kann ich nur, wenn ich Holz hacke. Ich will keinen Urlaub, ich hacke Holz!«
Punkt ein Viertel nach sieben Uhr erklärte Barthel das Frühstück für aufgehoben. Nun gingen alle ihre Wege, die meisten hinauf nach den Badehäusern, um ihre »Anwendungen« zu machen. Auch Gottfried Stumpe schritt hinaus in den fein sprühenden Regen. Er war in sehr schlechter Laune. Auf seinem Kurzettel stand heute ein zehn Minuten langes Bedampfen des Magens (er litt an Magennerven), dann ein Bürstbad mit nachfolgendem kühlen Abguß. Was so die Nervösen bekommen! Früher war er auch massiert worden und hatte im Gymnastiksaale turnen müssen. Jetzt fiel das weg. Wahrscheinlich war er schon zu gesund zu solch anständiger Behandlung.
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