Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
Vom Netzwerk:
und Angst. Alle Höfe öffneten sich, von Mund zu Mund flog die Kunde, auf dem Forellenhof sei ein Raubmörder ertappt worden, aber entwichen. Der lange Ignaz! Die Weiber kreischten und schauten neugierig aus Fenstern und Türen, die Männer wagten sich mit Stöcken bewaffnet fünfzig Meter vors Haus, ihre Frauen jammerten von der Haustür aus über diese Tollkühnheit und riefen die Männer zurück - es war abscheulich! Der Löw ist los, und alles verliert den Verstand. Nur einige Mutige stürmten hinaus, den Unhold zu fangen, taten sich zu Gruppen zusammen, bewaffneten sich in der Eile, so gut sie konnten.
    Ich schüttelte in der nebligen Abendluft erst meine Gedanken zurecht, sagte mir, daß die Verfolgung bei dieser Rabenfinsternis ganz aussichtslos sei, und ging nach der Direktion, um den Direktor zu sprechen. Er war nicht zu finden. Dafür traf ich den Geheimpolizisten an. Er stand am Telefon. Nach Waltersburg telefonierte er, nach dem Neustädter Bahnhof, nach zehn anderen Stationen im Umkreis, nach der Provinzialhauptstadt. Immer dasselbe: »Im Ferienheim Waltersburg hat sich unter dem falschen Namen Ignaz Scholz, genannt der lange Ignaz, der Raubmörder Fleischergeselle Josef Wiczorek aufgehalten. Ist soeben nach erfolgter Verhaftung entwichen.«
    Darauf folgte genaue Beschreibung und Aufforderung zur abermaligen Verhaftung.
    Ich saß ganz zerschlagen auf dem Schreibtischstuhl unseres Direktors, der immer noch nicht aufzufinden war, und hörte zu, wie »Herr Steiner« telefonierte. Er schnarrte mit seiner scharfen Polizistenstimme die Schande meines lieben Ferienheims in alle Winde. Endlich war er fertig. Er wandte sich an mich. »Herr Doktor, Sie sind der verantwortliche Leiter dieses Sanatoriums?«
    »Nur vom ärztlichen Standpunkt aus verantwortlich.«
    »Und wer trägt die Verantwortung für die gesetzliche Ordnung?«
    »Mister Stefenson und in seiner Vertretung Direktor von Brüning.«
    »Wo ist der Direktor?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wo ist Mister Stefenson?«
    »In Amerika.«
    Der Polizeimann notierte alles in sein Buch.
    »Was ist Ihnen von diesem angeblichen Knecht Ignaz Scholz bekannt, Herr Doktor?«
    Ich sagte ihm, daß mir dieser Knecht Ignaz allerdings persönlich stark unsympathisch gewesen sei, daß ich aber - außer einigen Grobheiten oder auch Roheiten, die er begangen
    - keine Veranlassung gehabt habe, den Menschen für einen Verbrecher zu halten, zumal mir der Bauer Barthel, dem ich vertraue, erklärt habe, er kenne Ignaz von Jugend auf als ehrlichen Menschen.
    »Dieser sogenannte Ignaz hieß laut Anmeldung Scholz?«
    »Jawohl, Ignaz Scholz.«
    »Hm! Wenn einer schon Scholz heißt! Jeder Scholz verkrümelt sich unter der Masse der Scholze wie ein Körnlein im Sand des Meeres. Ich möchte Sie bitten, Herr Doktor, mich vorläufig nicht zu verlassen.«
    »Das soll doch nicht heißen . . .«
    »Das soll nur heißen, daß ich Ihrer in jedem Augenblick bedürfen könnte.«
    Der Ton, den der Polizist anschlug, verletzte mich, aber ich fühlte mich ganz wehrlos, als der Mann seine amtlichen Vollmachten vor mir ausbreitete.
    »Ich möchte nur bemerken, Herr Doktor, daß ein Kurort wie der Ihrige, wo niemand unter seinem wahren Namen auftreten darf, ein geradezu großartiger Schlupfwinkel für verfolgte Verbrecher ist.«
    Was sollte ich erwidern? Daß in jedem Kurort, in Zoppot, Ostende, Abazzia, sich jeder Mensch ohne Legitimation unter irgendeinem Namen niederlassen könne? Ich unterließ es. »Kommen Sie!«
    Das war Befehlston. Ich blieb sitzen. Der Gewaltige wollte wohl eben ein strenges Wort sagen, da wurde die Tür aufgerissen, und Piesecke trat ein. Flugs stand der »Geheime« stramm und schlug die Hacken zusammen. Piesecke sah schlimm aus. Er hatte ein verschwollenes Auge, und sein Anzug war schmutzig und zerrissen. Trotzdem nahm er dem Polizeimann gegenüber eine echte Herrenhaltung an und sprach in einem so völlig veränderten 'Fon, daß ich seine Stimme nicht wiedererkannte: »Mann, wie kommen Sie dazu, den Knecht im Forellenhof zu verhaften?«
    »Melde Euer Hoheit untertänigst, der Knecht Iganz ist identisch mit dem Fleischergesellen Josef Wiczorek, der am 17. Februar dieses Jahres seinen Meister ermordet und beraubt hat.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Die Verdachtsgründe häuften sich: das Signalement des Steckbriefes stimmt, eine Prüfung der Fingerabdrücke gab die Gewißheit.«
    Piesecke sah den Mann durchdringend an.
    »Ich kenne Sie! Als Kriminalbeamter haben Sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher