Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferien vom Ich

Ferien vom Ich

Titel: Ferien vom Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Keller
Vom Netzwerk:
Berlin oder Wien. Ich bin nun schon so lange in dieser Einfachheit und in diesem ruhigen Frieden, daß ich mich wahrhaftig manchmal sehne, in einer elektrischen Straßenbahn zu fahren, ein gutes Theater zu besuchen, mal in einem vornehmen Restaurant zu speisen. Es kann gar nicht anders sein: wenn der Doktor aus dem Friedensidyll einmal Ferien vom Ich machen will, muß er in Glanz und Lärm hinein. Variatio delectat. Ich nehme es unseren Bauern nicht übel, daß sie sich zuweilen sonntags nach Neustadt hinüberschleichen, um dort ins Kino zu gehen, und die hämischen Bemerkungen der »Neustädter Umschau« über diesen Fall beweisen nur, daß das Blatt keine Ahnung von dem Abwechslungsbedürfnis des Menschen hat. Wer immer im Lärm sitzt, wird stumpf, wer immer in der Stille ist, auch; nur die wechselnde Welle trägt des Menschen Schiff.
    Daß mich neben diesen Erwägungen auch der Gedanke leitete, ich könne meine Ferienreise vorteilhaft über die Stadt verlegen, wo Eva diesen Winter singen würde, wollte ich mir kaum zugestehen. Denn ich hatte doch ein Ende gemacht mit meiner Liebe; ich wußte doch recht gut, daß ich nicht eher ein idealer Leiter dieses Ferienheims sein würde, als ich nicht selbst von allen persönlichen Banden und Sorgen befreit war, daß ich immer noch selbst zu sehr in der alten Haut steckte . . .
    Die große Stube im Forellenhof war dicht besetzt mit Menschen. Viele alte Freunde kamen, um sich von Eva zu verabschieden. Ein paar Kränze von Astern hingen an den Wänden, die letzten Rosen des Gartens blühten auf dem Tische. Wenn ein Kurgast von uns Abschied nimmt, erhält er als Andenken ein Album überreicht, in dem einige gute Bilder nach Radierungen, Heliogravüren, Aquarellen und Zeichnungen von unserem Heim enthalten sind, außerdem aber eine Anzahl Photographien, auf denen der betreffende Gast in irgendeiner Situation, die er miterlebt hat, verewigt ist. Denn photographiert wird bei uns viel. Bei der Arbeit, vor dem Bauernhaus, beim Feldfeuerchen, bei irgendeinem Ulk, beim Waldfest, beim Kirchgang, bei tausend anderen Gelegenheiten wird von unseren Kurgästen photographiert. Und jeder, der auf einem Bilde freiwillig oder unfreiwillig mit aufgenommen ist, bekommt einen Abzug in sein Album geklebt. Eva bekam ein Album in vier Bänden. Sie war sehr lange bei uns, und es hatten gar zu viele Amateure nachgesucht, wenigstens eine ihrer Aufnahmen in Evas Album zu bringen. Methusalem hatte einige reizende Bleistiftskizzen beigesteuert. Die letzte war ein Stimmungsbild von der Landstraße, die unten am Zeughaus vorbeiführt, zeigte einen im Abendschein entschwindenden Wagen und hatte die Unterschrift: »Die Sonne geht unter.«
    Auch du, mein Sohn Brutus? - Es fiel mir auf, wie lustig Methusalem sein wollte, wie zerstreut er war, wie gemacht heute sein Lachen klang. -
    Eva saß im Scheine der großen Hängelampe und durchblätterte das Album. Sie sagte nicht viel, aber mit einem Male rannen große Tränen über ihre Wangen. Dann wischte sie sich energisch das Gesicht ab und sagte: »Nein, ich darf mich wohl nicht allzusehr unterkriegen lassen. Aber diese Bücher sind herrlich. Sie werden mein liebstes Besitztum sein. Alle, alle sind drin - nur einer fehlt. Ignaz, warum sind Sie nicht auf einem einzigen Bild? Mir ist das aufgefallen.«
    Ignaz, der am Ofen lehnte, wandte sich weg und drückte die Wange gegen die Kacheln des Ofens.
    »So ein ekliger Kerl wie ich ist nicht für Bilder«, sagte er mit seiner knurrenden Stimme. Aber es klang wie ein Schluchzen darin.
    »Es tut mir leid, Ignaz«, sagte Eva freundlich; »Sie waren gut und treu zu mir!«
    Da ging der Knecht stumm zur Tür hinaus. Ich sah, wie der Kurgast »Steiner«, von dem ich nun wußte, daß er ein Detektiv war, dem langen Ignaz mit einem messerscharfen Blick nachschaute.
    Barthel hatte zu Ehren des Abends ein Fäßchen Moselwein angezapft und hielt eine Rede:
    »Meine Damens und Herr’n! Der heutige Abend is nich so wie sonst, sondern anders. Es is ein ernster Abend, weil Fräul’n Hanne fortzieht, und deshalb hab’ ich Sie zu einem Gläschen Wein eingeladen, und ich wünsche, daß er Ihnen allen recht wohl bekommen möge. Wir sind alle sehr traurig; denn wir verlieren Fräul’n Hanne sehr, sehr ungern.«
    Der Redner wurde unterbrochen. Frau Susanne weinte und prustete so heftig, daß sie sich zur Tür hinaus retten mußte. Auch Barthel fuhr mit der Hand nach den Augenwinkeln. »Sehen Sie, meine Herr’n, meiner Alten geht es auch

Weitere Kostenlose Bücher