Ferien vom Ich
bedauzen! Wissen Sie, wer der neue Kurgast auf dem Forellenhof ist, der sich Fritz Steiner nennt?«
»Nein!«
»Ein Geheimpolizist aus meiner Vaterstadt ist er. Ich habe ihn wiedererkannt; denn ich hatte früher mal mit ihm zu tun. Nun habe ich gedacht, er sei hergeschickt, um mich zu überwachen. Denn er hat mich früher schon einmal überwacht. Aber nein, wie ich ihn gestellt habe, hat er mir gesagt, daß er auf den langen Ignaz auf dem Forellenhof abzielt. Er wird den Beweis erbringen, daß Ignaz ein langgesuchter Raubmörder ist, ein früherer Fleischergeselle.«
Ich setzte mich wieder. »Also, Piesecke, ist das wahr?«
»Habe ich Sie je belogen, Herr Doktor?«
»Nein, Piesecke, belogen haben Sie mich nie. Aber täuscht sich auch Herr Steiner nicht?«
»Das weiß ich nicht. Er wartet noch etwas vom Gericht ab -ich glaube Fingerabdrücke oder so etwas -, und dann will er zur Verhaftung schreiten.«
Mir wurde unbehaglich.
»Haben Sie auch eine Auseinandersetzung mit dem langen Ignaz gehabt?«
»Jawohl. Er will mich umbringen.«
»Bitte, erzählen Sie!«
»Er hat mich schon immer verfolgt und gemißhandelt; er ist ein sehr roher Kerl. Wie ich nun Fräulein Hanne das gesagt hab’, daß - nun, daß ich eben doch ein Prinz bin, glaubte ich, ich sei mit ihr und mit Vater Barthel allein in der großen Stube. Auf einmal kommt der lange Ignaz hinter dem Ofen hervor, hat grüngelbe Augen und packt mich an der Kehle. Ich habe mich gewehrt; aber wenn Vater Barthel und Fräulein Eva mir nicht geholfen hätten, hätte mich der Kerl erwürgt. Wir haben dann den Mordgesellen zur Tür hinausgeworfen, aber er hat gedroht, er werde mich schon erwischen.«
»Hm. Also, lieber Piesecke, ich gebe Ihnen gern zu, daß mir dieser Knecht Ignaz auch in hohem Grade unheimlich und widerlich ist. Ist er ein Schuft, der sich in mein ehrliches, sauberes Heim eingeschlichen hat, dann werde ich der erste sein, ihn den Behörden ausliefern zu helfen. Aber auch wenn er nicht der von den Gerichten Gesuchte ist, wird der brutale Mensch entfernt werden. Das verspreche ich Ihnen.« Piesecke sank schon wieder in sich zusammen.
»Ach, selbst dieser Raubgesell ist in die blonde Eva verliebt. Und ich soll sie verlieren! Mag mich doch der Ignaz umbringen. Dann ist es wenigstens alle mit mir. Ich habe niemand, niemand, der mich gern hat, nicht einmal einen guten Freund!«
Da tat er mir leid. »Piesecke«, sagte ich, »das dürfen Sie nicht sagen. Sie haben einen guten Freund. Und das bin ich. Ich will Ihnen das dadurch beweisen, daß ich Ihnen etwas sage, was niemand von mir gehört hat. Auch ich, Piesecke, habe die schöne Eva sehr lieb gehabt und mir nichts sehnlicher gewünscht, als daß sie meine Frau werde.«
Er starrte mich an. »Auch Sie, Herr Doktor? Und warum haben Sie die Eva nicht genommen?«
»Weil sie mich nicht will.«
»Sie nicht will?« wiederholte er verwundert. »Sie will nicht mal Sie, und da soll sie mich wollen?«
Es lag eine rührende Demut in dem Ton, in dem er das sagte. »Sehen Sie, Piesecke, wenn man jemand wirklich lieb hat, darf man nicht an sich selbst denken, soll man nur denken: Werde du glücklich ! Es ist etwas Großes und Schönes um das Verzichten! Wir werden es zusammen tragen. Es gibt Frauen, die das Glück oder vielmehr das Unglück haben, daß alle Männer sich in sie verlieben, und gerade das Leben solcher Frauen bleibt oftmals ganz leer. Wir wollen unserer Eva wünschen, daß sie glücklich wird, und wir zwei wollen Zusammenhalten.«
Seine leichtsinnigen und doch so grundgutmütigen Augen schauten mich feucht an.
»Ich glaube, daß Sie es gut mit mir meinen, Herr Doktor!«
»Ich habe Sie gern, Piesecke«, sagte ich und legte ihm die Hand fest auf die Schulter.
Abschiedsabend
Am Abend ging ich nach dem Forellenhofe. Die schöne »Hanne« nahm Abschied von uns. Von Mai an war das Mädchen bei uns, und jetzt, da es gehen wollte, war mir’s, als schwänden Sommer und Sonne dahin, und es könne nun nichts mehr geben als graue Tage. Ich litt wie Piesecke; ich jammerte nur nicht so. Aber auch vielen anderen Leuten ging Evas Abschied nahe; ich hörte, daß die dicke Susanne schon tagelang mit rot verquollenen Augen herumlaufe.
Wenn der November kam, würden sich wahrscheinlich unsere Kurgäste an Zahl vermindern; dann wollte ich auch mal ausspannen, wollte für ein paar Wochen Ferien machen. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, daß ich dann wahrscheinlich nach einer großen Stadt reisen würde, nach
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