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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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seufze und erhebe mich unwillig, es war gerade so gemütlich. Aber es hilft nichts, wir laufen weiter über den Strand, drehen unsere Runden, weichen rennenden Kindern aus oder älteren Menschen mit ganz vielen Krampfadern an den Beinen.
    »Soll ich für dich herausfinden, was Rocco von dir hält?«, schlage ich Ruth vor. Ich fühle mich etwas schuldig und würde ihr gerne das schlechte Gefühl nehmen.
    »Nein! Ja! Also, ich weiß nicht. Er kennt mich ja gar nicht.« Ruth ist total aufgeregt.
    »Nur so, der erste Eindruck«, beruhige ich sie.
    »Ich weiß nicht, der erste Eindruck kann doch auch täuschen … Also, ich habe schon oft gehört, dass der erste Eindruck ganz anders war als der zweite. Die Frauenzeitschriften sagen einem zwar etwas anderes – ich weiß nicht, warum sie das tun, verkauft sich vielleicht besser so ein einfaches Konzept – aber ich glaube im echten Leben … Ach, ehrlich, das macht mich jetzt irgendwie ganz verrückt!«
    »Ist schon okay, Ruth!«
    »Du hältst mich für kompliziert? Ich bin nicht kompliziert!«
    »Wir sind doch alle kompliziert.« Und das stimmt ja auch. Jeder trägt so sein Päckchen mit durchs Leben. Manche akzeptieren ihr Päckchen, die anderen ignorieren es, und ich habe so viele Päckchen, dass ich gar nicht weiß, an welcher Baustelle ich zuerst anfangen soll.
    »Oh Gott! So wird das nie was!«
    »Was?«
    »Das mit den Männern!« Sie seufzt verzweifelt.
    »Wir atmen erst mal schön durch, okay. Es wird sich schon eine Lösung finden.« Ich weiß nicht, ob ich da nicht zu viel verspreche. Was weiß ich schon von Männern? So gut wie gar nichts! Nicht die beste Voraussetzung, um mich hier als Kupplerin aufzuführen.
    Wir laufen weiter und unterhalten uns über alles Mögliche. Mit Ruth zu reden, ist wirklich unkompliziert, und die Zeit vergeht schnell. Gegen Nachmittag, als die schlimmste Hitze nachgelassen hat, verkauft es sich auch wieder besser. Die Leute können sich wieder bewegen, aus ihren Strandmuscheln kriechen, die Handtücher vom Kopf nehmen, sich einen Kaffee gönnen und ihren Kindern einen Drachen, wo man schon mal dabei ist.
    »Wir sollten das öfter machen. Zusammen verkaufen«, schlage ich vor. Und als die Uhrzeiger endlich den heiß ersehnten Feierabend anzeigen, umarme ich Ruth zum Abschied und sage ihr Bescheid, dass ich diesen Abend nicht zu Dario gehen werde.
    Stattdessen möchte ich mir das kleine Badeörtchen hier genauer ansehen. Bisher war ich immer nur auf derselben Straße unterwegs, mehrmals am Tag, rauf und runter, und einmal der kurze Ausflug in den Wald mit Rocco, aber sonst kenne ich hier nichts. Außerdem möchte ich den ersten Schwung Postkarten nach Hause schreiben und verschicken. An Mama, an Papa und seine komische Freundin, anstandshalber, an meine Freundin Jana, die mit ihren Eltern in die Berge fahren musste. In die Berge! Bei dieser Hitze! Ich denke auch kurz darüber nach, eine Postkarte an Ben zu schicken, meinen Exfreund, nur damit er sieht, dass es mir gut geht. Blöderweise ist das immer noch wichtig für mich, obwohl ich ganz genau weiß, dass es das nicht sein sollte. Ihm ist es wahrscheinlich völlig egal. Soweit ich gehört habe, reist er gerade in der Weltgeschichte rum, wie immer auf der Suche nach dem maximalen Abenteuer. Unsere kurze Beziehung war es jedenfalls nicht. Ich sollte keine Postkarte schicken, das wäre definitiv albern.
    Nachdem ich bei Max die Drachen abgegeben habe, treffe ich auf der Straße einen von den Bockwurstjungs. Den mit dem roten Gesicht. Ich senke schnell meinen Blick und laufe an ihm vorbei, aber da ruft er mir schon hinterher: »He, du!«
    Ich drehe mich um, und er kommt mir entgegen, mit so einem schiefen Lächeln. Sein Gang hat etwas möchtegern-gangsterhaftes, als ob er es stundenlang vor dem Spiegel geübt hätte. Er war mir von Anfang an unsympathisch, noch bevor die Würstchenjungs angefangen haben, Rocco aufzuziehen.
    »Du und deine Freundin … ich wollte, nein wir, wir wollten euch sagen, wenn ihr keine Lust mehr habt, die ganze Zeit mit diesen Oberlosern rumzuhängen, dann könnt ihr gerne an unserem Tisch Platz nehmen. Wir würden uns gut um euch kümmern.« Er leckt sich mit seiner Zunge über die Lippen.
    Ich hebe meine Augenbrauen und lasse im Schnelldurchlauf all die guten Filmsprüche durch meinen Kopf schießen. »Sag mal, wurdest du eigentlich wirklich schon so geboren? Gleich mit dem Idiotengen?«
    Volltreffer!
    Ich kann kaum glauben, dass ich das wirklich gesagt habe.

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