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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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Ein wenig schäme ich mich auch gleich und erröte, was den Spruch dann wieder nur halb so gut macht.
    Aber der Typ guckt trotzdem blöd, so lange, bis ihm auch endlich was einfällt. »Das wirst du bereuen!« Er deutet mit dem Zeigefinger auf mich, fuchtelt damit vor meinem Gesicht herum.
    Ich lasse ihn stehen, was soll ich da noch sagen? Als ich schon weiter weg bin, höre ich ihn immer noch fluchen.
    Vielleicht ist das wirklich eine gute Option, das mit dem lesbisch werden. Typen benehmen sich nämlich definitiv oft wie totale Arschlöcher. Meinen, dass man ihre dämlichen Anmachen mag, ihre ekligen Zungen auf den Lippen toll findet, und wenn man nicht drauf anspringt, fühlen sie sich in ihrer Ehre verletzt und werden wütend. Das muss man sich ja wohl nicht geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frauen zueinander so sind.
    Irmi hat Abendessen gekocht. Fenchelgemüse und rote Linsen auf Kokosöl angebraten. Dazu gegrilltes Hähnchen aus dem Ofen mit Käse überbacken.
    »Und jetzt erzählst du mir ein bisschen von dir«, fordert sie mich auf, während sie mir das Fleisch auf den Teller legt. Sie hat eine blaue Schürze mit ganz vielen Rüschen umgebunden, die bei jeder Bewegung mitwippen.
    Ich weiß nicht genau, was Irmi damit meint, dass ich von mir erzählen soll. Hobbies? Lieblingsfarbe? Was ich später mal werden will? All diese Sachen, die man jahrelang in irgendwelche Freundschaftsbücher reingeschrieben hat?
    Oder soll ich Irmi ein Geheimnis anvertrauen? Wem, wenn nicht ihr? Hier würde es sicher aufgehoben sein.
    »Ich bin ein großer Fan von ausgedachten Figuren«, platzt es aus mir raus, noch ehe ich überlegen kann, ob es wirklich eine gute Idee ist.
    Irmi sieht mich fragend an und setzt sich mir gegenüber an den Tisch.
    »Also Figuren aus Filmen oder Serien oder Büchern, manchmal auch Liedern«, erkläre ich. »Ich habe wirklich schon viele Filme gesehen, Tausende, und etliche Bücher gelesen, und Musik höre ich sowieso ständig. Und dann, wenn mir eine Figur besonders gefällt, nehme ich sie mir und erfinde weitere Geschichten für sie. Ich lege dann ein richtiges Profil für sie an, ich habe ein extra Buch dafür. Und manchmal, wenn ich dann mit Leuten spreche, stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn statt mir die Figur jetzt mit ihnen sprechen würde, oder wie sie einen Witz erzählen würde. Na, solche Sachen eben.«
    »Scheint mir ein aufwendiges Hobby.« Irmi lächelt verschmitzt.
    »Das ist eigentlich kein richtiges Hobby. Das passiert dann einfach. Also, ich kann fast nichts dagegen machen. Wenn sich eine Figur in meinem Kopf eingenistet hat, dann kriege ich sie nicht mehr raus. Am Anfang fand ich das total nervig, lästig irgendwie. Aber dann habe ich mit diesem Profilbuch angefangen und darin kann ich sie ganz gut ablegen sozusagen.« Ich hole Luft und denke noch mal kurz darüber nach, was ich da gerade gesagt habe. »Klingt das komisch?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Irmi. »Was denkst du denn? Klingt das für dich komisch?«
    »Eigentlich nicht.«
    Aber wenn ich noch ein bisschen länger darüber nachdenke, muss ich zugeben, dass mir damit schon öfters komische Sachen passieren. Nämlich solche, dass ich mir manchmal zu Hause Musik anmache und mich schminke und mich dann mit einer Zigarette ans Fenster stelle, die ich für solche Anlässe in der Schublade versteck habe. Ganz melancholisch stehe ich dann da, während im Zimmer ein Räucherstäbchen vor sich hinräuchert. Eine Weile ist das ganz nett und unterhaltsam, aber plötzlich weiß ich nicht mehr, ob ich das jetzt bin, die echte Nora, die da so steht und vor sich hin qualmt, oder vielleicht doch eher eine dieser tollen Filmfiguren. Und ob das Leben in diesem Moment wirklich echt ist oder ob ich mir da etwas zurechtbastele.
    Und auf einmal wird mir dann ganz anders, die Luft in der Lunge wird knapp, die Knie weich, und das Einzige, was hilft, ist jemanden anzurufen, der sagt: »Ah, hallo, Nora.« Dann erst weiß ich wieder, dass ich doch noch da bin. Ich werfe dann die Zigarette aus dem Fenster, ziehe mir eine Jacke über und gehe raus, laufe so lange durch die Straßen, bis ich wieder das Gefühl für meinen Körper kriege und schließlich erschöpft in mein Bett fallen kann.
    Das erzähle ich Irmi lieber nicht. Nicht dass sie glaubt, ich wäre schizophren. Das wäre ein wenig viel für den Anfang. Stattdessen bedanke ich mich bei ihr, dafür dass sie gekocht hat, und wünsche ihr einen guten Appetit.
    Wir essen zusammen,

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