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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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auf.
    Ich setze mich auf die Treppenstufen und lasse zur Entspannung meine Füße noch einmal kreisen. »Nein, wir waren noch etwas essen.«
    »Hast du Freunde gefunden, Liebes?« Frau Mertens lächelt erfreut.
    Dieses »Liebes« ist für mich wie Balsam auf der Seele. Warum ist das so? Warum sehne ich mich so sehr nach liebevollen Wörtern oder Berührungen? Als Martin vorhin meine Schultern eingerieben hat, schossen kleine Wärmeblitze durch meinen Körper. Am liebsten hätte ich mich bei Martin angelehnt, eingekuschelt, vergraben, aber das hätte natürlich etwas seltsam gewirkt.
    Ich setze mich noch zwei Stufen höher, näher an Frau Mertens ran und schaue ihr direkt ins Gesicht. Ihr Lächeln färbt sofort auf mich ab.
    »Ja, ich schätze, ich habe Freunde gefunden. Und Sie? Hatten Sie einen schönen Tag?«
    »Was soll dieses Sie eigentlich? Ich habe dir doch schon gesagt, ich heiße Irmi.«
    »Ja.« Ich senke schuldbewusst den Kopf.
    »Sag es. Sag Irmi«, fordert Frau Mertens mich auf und sieht mich dabei mit hochgezogenen Augebrauen an.
    »Irmi«, sage ich und strahle über das ganze Gesicht, weil Irmi so ein unglaublich süßer Name ist, dass ich gar nicht anders kann.
    »Na bitte!« Sie klatscht in die Hände und streicht sich dann die Decke auf den Knien glatt.
    Ich nutzte den Augenblick, um mir ihr Gesicht näher anzusehen und versuche mir vorzustellen, wie Irmi als junge Frau aussah und wie viel von dieser jungen Irmi noch in der alten steckt. Ich habe vor ein paar Jahren, als meine Oma starb, beim Sortieren von Kisten alte Fotos gefunden. Als ich Mama fragte, wer das auf den Fotos sei, sagte sie mir, dass es Oma wäre. Ich nahm die Fotos mit nach Hause, sah sie mir immer wieder an, sogar mit der Lupe, aber ich konnte beim besten Willen nicht das Gesicht meiner Oma darin wiedererkennen.
    Der Gedanke, dass ein Mensch sich im Laufe seines Lebens so sehr verändert, machte mir damals Angst, und tut es eigentlich heute noch.
    Irmi hat ein unglaublich freundliches Gesicht. Alle ihre Falten sind nach oben gezogen, als ob sie lächeln. Genauso strahlen ihre Augen, hellblau, wie das Wasser der Ostsee. Ihr dickes Haar ist silbrig grau, fast weiß, und immer zu einem Dutt zusammengebunden. Außer sie trägt einen Hut, dann lässt sie es auch mal offen.
    »Trinkst du noch einen Tee mit mir, Liebes?« Irmi beugt sich vor und tastet nach der Teekanne, um zu prüfen, ob noch warmer Tee drin ist.
    »Gerne«, antworte ich und hole mir rasch eine Tasse aus der Küche, eine kleine, aus Porzellan, mit rotem Blumenmuster. Die Wohnung von Irmi ist voll von solch hübschen Dingen, wie in einer Puppenstube. Über Jahre gesammelt.
    Dann sitzen wir da, Irmi und ich, nippen an unserem Kräutertee und sehen dem Himmel dabei zu, wie er immer dunkler wird und wie immer mehr Sterne zum Vorschein kommen, die kleinen Lichter der Nacht. Einzelne Touristen sind noch unterwegs auf der Straße, zu einem letzten Spaziergang oder auf dem Weg in die Disco.
    Irmi und ich reden nicht viel, nur so kleine Sachen wie »Ach, diese Mücken sind besonders lästig in diesem Jahr!« oder »Doch noch ganz schön kühl so spät am Abend.«
    Aber es ist eine schöne Situation, ein wohliges Gefühl, hier auf der Veranda, eingemummelt in warme Decken, uns an die Teetassen klammernd. Aus dem Garten hört man Grillen zirpen. Alles ist so friedlich. Ich bin friedlich, angenehm erschöpft, dass es in den Fingerspitzen kribbelt.
    Und schließlich fallen mir die Augen zu, weshalb ich mich entschließe, endlich ins Bett zu verschwinden.
    »Gute Nacht, Irmi.«
    »Gute Nacht, Liebes.« Sie greift nach meiner Hand und drückt sie fest. Ihre raue Haut legt sich warm um meine Finger. Nachdem ich die Tasse in die Spüle gestellt habe, sauge ich noch mal den Duft des Hauses in mich auf. Zimt, frische Kräuter, feuchte Erde, Weichspüler. Irgendetwas daran erinnert mich an meine Kindheit, aber ich kann nicht ausmachen, was genau es ist.
    Völlig erschöpft falle ich ins Bett. In einen tiefen, traumlosen Schlaf.

ALS ICH AM NÄCHSTEN TAG schon wieder vier Stunden über den Strand gelaufen bin, aber kaum Drachen verkauft habe, kommt Ruth winkend und mit wehendem Haar angelaufen und gesellt sich zu mir. »Hey, Nora! Gehen wir ein Stück zusammen?«, fragt sie fast etwas schüchtern und fummelt umständlich an ihrer Kühlbox und ihrem Rock herum, die ihr vom schnellen Laufen ganz verrutscht sind.
    Irgendetwas hat sie auf dem Herzen.
    »Gerne. Vielleicht können wir ein

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