Fern wie Sommerwind
anziehen, schweigen wir. Und selbst als wir auf dem Heimweg die Hauptraße runterlaufen, sagen wir kein Wort.
Es ist dämmrig geworden, die Laternen gehen an und die Menschen auf der Straße werden immer weniger.
»Hör zu«, setzt Martin an, und mir klopft das Herz schneller. »Du warst heute nicht bei Dario … und wir haben beschlossen, am Montag, wenn wir alle mit der Arbeit fertig sind, ein Picknick im Wald zu machen, Ruth, Rocco, James und ich und hoffentlich auch du, wenn du magst.«
»Klar, ja, natürlich, warum nicht!« Ich bin erleichtert, dass es nur um Picknick geht. »Ja. Picknick ist super. Toll, wirklich! Ich bin ein Picknick-Fan! Schon immer gewesen. Auch als Kind schon. Essen in der Natur, was gibt es Besseres? Auf jeden Fall, ich bin dabei!«
Martin schmunzelt, so als wäre ich nicht ganz bei Trost, aber auch so, als wäre das völlig okay.
Wir verabschieden uns an Irmis Gartentor. Er hat mich doch tatsächlich nach Hause begleitet. Einen Moment lang sind wir beide unschlüssig, ob wir uns die Hände reichen sollen, aber dann springe ich über meinen Schatten und umarme Martin einfach. Das ist besser, allein schon deshalb, weil meine Hände ganz feucht sind, von der Hitze und sicher auch vor Aufregung.
»Wir sind doch jetzt Freunde«, sage ich zu seinem Hinterkopf und Martin nickt. Seine Haare riechen nach Shampoo und Sonne.
Freunde.
Als wir uns wieder loslassen, scheint es kurz, als würde Martin noch etwas sagen wollen. Er öffnet schon den Mund, aber in letzter Sekunde lässt er es dann doch bleiben, nickt nur und tippt sich zum Abschied mit dem Finger an den Kopf.
Freunde.
Aber als ich schließlich im Bett liege und nicht schlafen kann und den Tag Revue passieren lasse, drängt sich immer wieder dieses Bild in meine Gedanken … Martin im Gummiball, und seine Lippen, die sagen: I love you.
Liebe Mama!
Es ist irre heiß hier.
Du hast gesagt, ich soll ausprobieren, wie es sich anfühlt, sein eigenes Geld zu verdienen. Natürlich fühlt sich das gut an. Ich habe bisher fast alles gespart. Außer einen Bernsteinring, den habe ich mir geleistet. So einen Ring, wie Oma ihn auch immer hatte. Erinnerst du dich?
Du hast auch gesagt, ich soll mal sehen, wie es sich anfühlt, alleine zu sein. Da muss ich dich enttäuschen. Ich habe Freunde gefunden. Ziemlich schnell. Ich hatte es nicht einmal darauf angelegt, sie waren einfach da. Vielleicht soll das mit dem Alleinsein zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden.
Ich wollte dir eine Postkarte schicken, aber der Platz hat nicht ausgereicht, außerdem muss der Briefträger nicht alles wissen, der weiß sowieso schon zu viel über uns.
Wir sind im Streit auseinandergegangen. Und jedes Mal, wenn das passiert, weiß ich am Ende nicht, wie es dazu kam. Ich würde mich gerne entschuldigen, weiß aber nicht so recht wofür. Papa sagt, wir müssen uns zanken, weil wir uns doch so ähnlich sind. Ich finde, das ist ein doofer Grund, denn wenn es so ist, dann wäre das ja so etwas wie unser Schicksal, aber so ein Schicksal gefällt mir nicht und strengt mich auch sehr an.
Ich bin ja jetzt eine Weile weg, und wenn ich wiederkomme, könnten wir uns vielleicht darüber unterhalten. Irgendwie hängt das immer wie so ein Schatten im Hintergrund herum. Ich hatte beschlossen, ein wenig aufzuräumen. Mit mir und mit dem Leben. Ist gar nicht so einfach. Und es ist auch viel leichter, das hier zu schreiben, als wenn ich mir vorstelle, dir das alles ins Gesicht sagen zu müssen.
Aber eigentlich wollte ich dir bloß sagen, dass es mir gut geht. Irmi, bei der ich wohne, kümmert sich darum, dass ich immer genug esse und auch ganz gesund. Papa wäre froh.
Ich schicke dir Grüße und die Postkarte einfach dazu, vielleicht magst du sie an den Kühlschrank hängen.
Nora
Ich lese mir das Geschriebene noch ein paar Mal durch. So einen Brief habe ich noch nie an meine Mutter geschrieben. Unser Verhältniss ist schwierig. Wir versuchen, gut miteinander auszukommen, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass wir aneinander vorbeileben. Mama gibt sich Mühe. Sie sorgt sich um mich und versucht, mir Zeit einzuräumen, aber gerade dann kriegen wir uns wegen irgendwelchen Kleinigkeiten immer in die Haare. Wenn ich das gemeinsame Abendessen wegen einer Verabredung ausfallen lasse, nimmt sie es persönlich, schiebt es darauf, dass ich ein Einzelkind bin und nie gelernt habe, Kompromisse zu machen. Dann macht sie sich selber Vorwürfe, dass ich keine Geschwister habe. Ich versuche,
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