Fern wie Sommerwind
murmele ich und fische einen grünen Stein mit Loch in der Mitte aus dem Wasser.
»Du könntest eine Kette draus machen«, schlägt Ruth vor.
Ich drehe den Stein einen Moment zwischen meinen Fingern und stecke ihn dann in die Hosentasche.
»Wir wollen Freunde bleiben«, erzählt Ruth weiter. »Das klappt natürlich nicht. Das klappt ja nie.«
»Man kann es versuchen.« Aber so wirklich glaube ich auch nicht dran.
»Wir werden sehen. Ich bin achtzehn. Ich schätze, es wird noch einige Sommerlieben geben.« Sie zuckt die Schultern.
»Als ich dich zuerst gesehen habe, hätte ich nicht gedacht, dass du so denkst. Du schienst so verliebt zu sein.« Ich setze mich in den Sand und sortiere die schönen Steine von den weniger schönen aus.
»Ich war ja auch verliebt!«, protestiert Ruth.
»Bei mir dauert das länger, das mit dem Verlieben und dem Entlieben.«
»Was du nicht sagst!« Ruth lacht und knufft mir gegen die Schulter.
»Ich meine, das ist dann immer schmerzvoll. Immer! Deshalb bin ich so zögerlich. Ich dachte, bei dir wäre es ähnlich.« Aus den aussortierten Steinen fange ich an, ein Muster zu legen.
»Ich dachte mir, wenn ich dann wieder nach Hause fahre … ohne zu wissen, wie Rocco küsst, dann hätte ich mich ständig fragen müssen, wie es gewesen wäre, wenn. Und jetzt weiß ich es halt.«
»Und?«
»Wundervoll natürlich! Das sieht man ja sofort, dass der wundervoll küssen kann.« Jetzt kommt sie doch wieder ins Schwärmen.
»Na wenigstens das.« Ich zwinkere ihr aufmunternd zu.
»Bis wir den Typen treffen, den wir heiraten wollen, wird noch ein bisschen Zeit vergehen.« Sie streicht den Sand neben sich glatt.
»Oh nein! Ich werde nie heiraten«, wehre ich ab.
»Zerrüttete Familienverhältnisse?«
»Das auch.« Eine Möwe spaziert nicht weit von unseren Füßen vorbei und pickt Krümel im Sand auf.
»Ich werde auf jeden Fall heiraten. In Weiß. Mit Schleier und hundertfünfzig Gästen auf einem Gutshof mit Pferden. Und die kleinen Mädchen streuen Rosenblüten und rennen dann in ihren süßen Kleidchen barfuß über den grünen Rasen. Es duftet nach Heu, und mein Mann und ich, wir stolzieren umher und tanzen Walzer. Es gibt gebackenes Hähnchen auf Rosmarinkartoffeln und zum Dessert Mousse au Chocolat mit Nüssen oben drauf. Und eine Musikkapelle! Mit Akkordeon und Geigen.« Ruth lächelt zufrieden in sich hinein.
»Nicht dein Ernst?«
»Aber klar doch. Das wird ein wichtiger Augenblick in meinem Leben.«
»Irre.« Ich bin nicht sicher, ob Ruth mich vielleicht verarscht, aber trotzdem hat sie sich das einfach so spontan aus der Nase gezogen mit den Rosmarinkartoffeln. Verrückt. Heiraten ist für mich so etwas von abwegig, dass ich es ganz faszinierend finde, jemanden wie Ruth zu treffen, die das unbedingt will.
Meine Mutter sagt oft diesen Spruch: Bis zur Hochzeit ist alles verheilt . Und ich frage dann immer etwas pampig: »Welche Hochzeit?« Und da verdreht Mama die Augen und lässt mich stehen, weil sie keine Lust hat, sich mit ihrer jugendlichen Tochter über so Grundsatzfragen zu streiten. Aber ihr Blick sagt genug.
»Wir sollten zurückfahren, bevor es dunkel wird«, schlägt Ruth vor und packt ihre Steine in die Tasche.
»Warte. Wenn wir heute schon ohne Jungs unterwegs sind am menschenleeren Strand, da ist es unsere Pflicht, uns nackt in die Wellen zu werfen.« Ich kichere. Keine Ahnung, woher diese Idee plötzlich kommt.
»Wirklich? Ich steh ja eigentlich nicht auf so FKK-Zeug.« Sie rümpft die Nase, dreht ihren Kopf von mir weg, damit ich nicht sehe, wie rot sie wird.
»Hab dich nicht so«, necke ich sie und entledige mich meiner Klamotten, bevor ich es mir anders überlegen kann. Ruth steht auf, dreht sich kurz im Kreis, schaut nach allen Seiten, ob da auch wirklich niemand ist, zuckt dann mit den Schultern und steigt schließlich aus ihren Jeans.
Wir versuchen möglichst, die andere nicht anzuschauen, um uns nicht gegenseitig in Verlegenheit zu bringen. So lange kennen wir uns nun auch wieder nicht.
Als alle Klamotten im Sand liegen, rennen wir schnell ins Wasser, die Arme vor der Brust, und tauchen mit wildem Gekreische unter. Es ist kalt, trotz der heißen Tage bleibt das Wasser der Ostsee immer kalt. Eine Gänsehaut breitet sich über meinen gesamten Körper aus. Aber dann machen wir ein paar Schwimmzüge, und das Gefühl des Wassers auf der völlig nackten Haut ist so überwältigend, ein wenig sexuell auch, dass die Kälte einem wohligen, freien Gefühl in
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