Fern wie Sommerwind
morgen.«
»Bis morgen.«
Sie ist doch genervt von mir. Oder ist sie generell genervt? Was war das mit Rocco? Ich hätte fragen sollen, aber stattdessen haben wir nur über mich gesprochen. Über mich und Martin, und das muss wirklich bald aufhören, weil mir die Ausreden langsam ausgehen.
Ich bleibe alleine zurück und schaue den ersten Sternen dabei zu, wie sie zaghaft am Himmel erscheinen, erst zwei, dann fünf und dann immer mehr. Ich versuche, meinen Kopf dazu zu bringen, über nichts nachzudenken. Aber das klappt nicht. Wie auch? Vielleicht kann ich ihn austricksen, indem ich einfach nur Bilder kommen lasse, gewöhnliche Bilder: Schiff auf dem Meer, Orangenbäume, eine Biene, die Nektar saugt, Heuballen auf Feldern, Windräder, Obstverkäufer am Straßenrand, Irmis Waldbeermarmelade, Martin. Martin. Martin.
Tja!
So viel dazu!
GLEICH NACH DER Arbeit fahren Ruth und ich am nächsten Tag los. Ich auf meinem roten Rad und Ruth mit einem Fahrrad vom Verleih. Wir haben kein Ziel. Erst mal immer geradeaus!
Wir treten in die Pedale und lassen unser Haar vom Wind zerzausen.
»Max hatte heute wieder echt viel zu nölen!«, ruft Ruth und wirft ihren Kopf zurück.
»Max hat immer zu nölen!« Ich lasse das Lenkrad los und fahre freihändig weiter. Das Fahrrad eiert, aber ich balanciere es mit meinen Armen wieder aus. »Juhu!«, rufe ich, und Ruth lacht, fährt ein wenig langsamer, damit wir wieder auf gleicher Höhe sind.
»So ein Mädchenausflug hat mir gefehlt. Immer die Typen um uns herum, das macht einen ganz wuschig.«
»Du hast recht«, pflichte ich ihr bei und klingel ein paar Spaziergänger aus dem Weg.
Wenn wir nach links schauen, sehen wir das Meer, und je weiter wir fahren, umso leerer wird der Strand.
»Die Leute sind zu faul zum Laufen. Stattdessen quetschen sie sich wie Sardinen in einer Büchse auf einen einzigen Fleck, Körper an Körper, und wundern sich, dass sie fett werden.« Ruth schüttelt den Kopf.
»Dafür profitieren wir gleich vom menschenleeren Strand«, entgegne ich.
»Lust, Steine zu sammeln?« Ruth streckt die Beine von sich und lässt das Fahrrad selbstständig den kleinen Abhang runterrollen.
»Warum nicht. Wettfahrt bis zum nächsten Aufgang?«
Ruth verlagert ihr Gewicht nach vorne, tritt wieder in die Pedale und entwickelt Ehrgeiz. »Wäre ja gelacht, wenn ich die kleine Nora nicht abhänge!«
Ich trete so fest ich kann und komme Ruths Hinterrad gefährlich nahe.
»Spinnst du? Ich habe nicht einmal Pflaster dabei!«, kreischt sie.
»Hab dich nicht so! Narben sind sexy!« Ich komme allerdings aus der Puste und falle wieder zurück.
Völlig außer Atem sind wir zehn Minuten später am steilen Aufgang und schieben unsere Räder zum Strand runter, wobei wir unsere ganze Kraft aufbringen müssen, um das Rad zu halten und nicht hinzufallen.
Der Strand ist hier steiniger. Ruth breitet ein indisches Tuch über den Boden. »Hat mir meine Mutter mitgegeben. Das Tuch und drei Packungen Räucherstäbchen, Chakra-Tee und Globuli für alle Fälle. Meine Mutter ist total die Eso-Tante.«
»Meine Mutter ist ’ne Kräuter-Tante. Mixt ständig irgendwelches grüne Zeug zusammen und macht daraus Tee und Limonade oder backt Kräuterbrot.«
»Und so hat jeder sein Hobby.« Ruth setzt sich in den Sand und packt ihren Picknickkorb aus, legt alles sorgfältig auf das Tuch. Es gibt Kekse und vorgeschnittenes Obst. Wir trinken Kaffee aus der Thermoskanne, schauen den Möwen zu, wie sie sich in den Wind legen und davontragen lassen.
Gestärkt laufen wir ein Stück, lassen unsrere Füße von den Wellen umspülen und heben Steine auf. Glatte, glänzende, glitzernde.
»Damit kann man sicher irgendwas basteln. Untersetzer, Kerzenhalter. Falls wir auch mal ein Hobby brauchen.« Ruth greift in den Sand und lässt dann Wasser über ihre Hand laufen, damit die Steinchen ihre wahre Schönheit entfalten. »Ich wollte dir übrigens noch erzählen …«, setzt Ruth an und stockt dann.
»Rocco und du?«, vermute ich.
»Genau. Kommt wohl nicht überraschend?« Sie wirft eine Handvoll Steine wieder ins Wasser zurück.
»Du warst letztens so komisch zu ihm.«
»Na ja. Wir hatten ein paar gute Tage, aber er ist wirklich ein Freak.« Und obwohl Ruth den Freak eigentlich ganz sehnsüchtig ausspricht, fühle ich, dass es vorbei ist zwischen den beiden.
»Bist du traurig?«, frage ich sie.
Ruth winkt ab, überlegt dann aber noch mal. »Ein bisschen vielleicht. Aber es ist besser so.«
»Schade«,
Weitere Kostenlose Bücher