Fern wie Sommerwind
Mädchen sind alle in mich verliebt!«
»Wusste ich’s doch!«, ich knuffe ihm freundschaftlich gegen die Schulter.« Aber nicht, dass du mir jetzt meinen Job streitig machst.«
Wir albern noch eine Weile zusammen rum, aber die eisige Stimmung zwischen Ruth und Rocco fällt jetzt auch den anderen auf.
Als wir abends zur Abgabe der Beute auf der Veranda aufkreuzen, ist Max gerade am Telefon und nimmt uns lieblos die Ware und das Geld ab. Wir stehen noch eine Weile unschlüssig in der Gegend rum, bis Max uns endlich auszahlt, immer noch mit dem Hörer am Ohr, und uns dann wegwinkt, ohne Bonus und mit eisiger Miene. Konsequent ist er ja. James will noch protestieren, erntet dann aber einen unerbittlichen Blick von Max und sieht ein, dass es keinen Sinn macht. Mitgefangen, mitgehangen. So ist das mit der Gruppendynamik.
»Wollen wir morgen einen Fahrradausflug machen? Nur du und ich? Mädelsabend.« Ruth nimmt mich zur Seite und hakt sich bei mir unter. Wir drehen noch ein paar Runden, die Jungs verabschieden sich und seilen sich auf ein Bier ab.
Ich sehe ihnen nach, wollte eigentlich noch mit Martin reden, wollte ihn fragen, wie es war, meine Drachen zu verkaufen, vielleicht hätte ich ihm auch erzählt, dass der Discotyp bei mir Eis gekauft hat. Aber jetzt ist es schon zu spät, die Jungs biegen Richtung Hafen ab, und ich werde ihm schließlich nicht hinterherrennen.
Ruth und ich spazieren zu Irmis Haus, setzen uns auf ihre Veranda und bekommen Tee und Kekse vorgesetzt.
»Mann, was gäbe ich drum, dass sie meine Oma wäre«, seufzt Ruth. Man hört Irmi von drinnen mit dem Geschirr klappern.
»Und ich gäbe was drum, für immer hier bleiben zu können«, sage ich und gieße uns Tee in die Tassen.
»Ist das dein Ernst?« Ruth schaut mich entgeistert an.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut gefühlt habe.« Ich nippe an meiner Tasse und verbrenne mir die Zungenspitze dabei.
»Wow.« Sie klingt überrascht.
»Jeden Morgen, wenn ich aufwache, freue ich mich, aus dem Bett steigen zu können, barfuß die Treppe in die Küche zu gehen, zu frühstücken, mit Irmi zu plaudern und mich dann in den Tag zu stürzen. Und da weiß man ja auch immer nicht, was einem so widerfahren wird. Das ist doch aufregend.«
»Mir geht das Kaffeeverkaufen allmählich auf die Nerven«, gesteht Ruth.
»Vielleicht ein wenig. Aber dieses am Strand entlanglaufen, das gibt einem so viel Zeit zum Nachdenken, sich über Dinge klar zu werden, ganz ruhig, ganz ohne Stress.« Ich ziehe meine Chucks von den Füßen und schüttele den Sand in einen Blumentopf aus.
»Du denkst zu viel nach«, stellt Ruth etwas schroff fest.
»Ja, ja. Du bist nicht die Erste, die das sagt. Als ob das so einfach wäre, das abzustellen. Ich meine, wie stellt ihr euch das alle vor? Ich arbeite ja dran.«
»Du könntest schon mal damit anfangen, wenn du aufhörst, darüber zu reden.«
»Gehe ich dir auf die Nerven?« Ich sehe sie nicht an, sondern starre geradeaus auf die Straße, den Spaziergängern hinterher.
»Nein, natürlich nicht.« Ruths Stimme wird wieder milder.
»Ich verstehe gar nicht, wo das Problem mit dem Denken ist. Was soll denn daran falsch sein?« Irgendjemand muss mir das doch mal erklären.
»Das Denken an sich ist schon okay. Ich glaube, es muss nur irgendwohin führen. Früher oder später.« Ruth tunkt ihren Finger in den Tee und fährt damit am Tassenrand entlang, dass es ein leises Geräusch gibt.
»Gib mir ein Beispiel. Ich meine, das ist alles so theoretisch, aber …«
»Du und Martin!«, unterbricht mich Ruth.
»Oh, nicht das schon wieder!«, protestiere ich.
»Doch genau das! Ich meine, das sieht doch ein Blinder! Nur du siehst es nicht! Weil du denkst, hin und her, dir tausend Möglichkeiten überlegst, wie es wäre wenn, oder lieber doch nicht, wie man das am Besten angeht oder wann der richtige Zeitpunkt ist und vor allem, wie sieht das für die anderen aus … Und dabei liegt das alles vor dir, hier.« Ruth öffnet ihre Handfläche und zeigt drauf. »Auf der Hand. Aber du zerbrichst dir den Kopf, deutest, analysierst, erstellst Statistiken und plötzlich … puff …« Ruth pustet über ihre Handfläche in Richtung Himmel. »Weg! Einfach weg!«
Ich schaue dem Weggepusteten hinterher, dann senke ich den Kopf.
»Menschen sind unterschiedlich«, werfe ich noch ein.
Ruth nickt schwach, trinkt ihren Tee in einem Zug aus, steht auf und macht sich auf den Weg. »Sag Irmi gute Nacht von mir. Bis
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