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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Moderne. Nicht viele Kunsthändler haben so breit angelegte Sammlungen wie Vincenzo. Er sollte froh über die Alarmanlage sein.
    »Was hältst du von meinem neuen Bild?«
    Ich bleibe vor der kleinen Zeichnung stehen. Ein Selbstporträt von Max Beckmann. Kantiger Schädel, skeptische Augen, kräftiges Kinn.
    »Hervorragend. Es stammt aus seinem Spätwerk.«
    »Ja. Ein Freund hat es für mich auf einer Auktion in New York erworben.«
    Ich bewundere ihn. Mit seinen fast achtundachtzig Jahren studiert er jeden Morgen Auktionskataloge aus aller Welt.
    »Giovanna hält es für Geldverschwendung, Bilder zu kaufen.«
    »Das ist es sicher nicht.«
    »Sie hat kein Interesse an Kunst. Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben …«
    »Dafür ist sie eine gute Ärztin.«
    Wir treten auf die Terrasse. Giovannas Jungen sind verschwunden. Die Wasseroberfläche im hellgrün gekachelten Pool ist spiegelglatt. Warum habe ich meinen Badeanzug nicht mitgebracht?
    Ich folge Vincenzo zur alten Magnolie am Ende des Gartens. Wir setzen uns in die Korbsessel, die er schon hatte, als ich zum ersten Mal hier war. An jenem Sommertag im August 1994 gab es auch eisgekühlten Zitronentee.
    »Die Focaccia hat Chiara extra für dich gebacken.«
    »Danke.«
    »Kannst du das Einschenken übernehmen?«
    »Natürlich.«
    »Meine Hände zittern immer mehr.«
    Ich gieße den Tee in die schmalen, hohen Gläser und reiche ihm die Schale mit der warmen Focaccia.
    »Max Beckmann ist an einem Herzinfarkt gestorben, auf offener Straße, in Manhattan. Er war sofort tot. So möchte ich auch sterben.«
    »Hoffentlich noch lange nicht.«
    »Das sagst du so leicht.«
    »Nein, aber im Vergleich zu vielen anderen Menschen in deinem Alter geht es dir gut.«
    »Ich weiß.«
    In der Focaccia sind schwarze Oliven, Rosmarin und Chilischoten. Vielleicht könnte ich lernen, einen Hefeteig zu machen.
    »Francesco hat mir von deiner Mutter erzählt. Wie alt ist sie?«
    »Zweiundsechzig.«
    »Meine Güte! Was für ein Schicksal!«
    Ich nicke.
    »Francesco wäre dafür, sie hierherzuholen, aber das ist vermutlich nicht so einfach.«
    »Nein …«
    »Ich habe mich immer gefragt, wie es möglich ist, dass ein warmherziger Mensch wie du solche Eltern hat.«
    Tränen steigen mir in die Augen.
    »Trotzdem war es richtig, dass du sie besucht hast.«
    Ich presse die Lippen zusammen. Nicht weinen, nicht jetzt.
    »Immerhin ist sie deine Mutter.«
    Ich trinke einen Schluck Tee und putze mir die Nase.
    »Wirst du bald wieder hinfahren?«
    »Ja, aber erst will ich die Arbeit am Engel beenden.«
    »Wie geht’s voran?«
    »Ganz gut.«
    »Ich bin stolz auf dich, dass du diesen Auftrag bekommen hast.«
    »Danke.«
    »Eine wichtige Auszeichnung! Der bisherige Höhepunkt deiner Karriere. Andere Projekte dieser Art werden folgen.«
    »Hoffentlich.«
    Auf dem Geländer des Balkons läuft eine schwarze Katze entlang und schnappt nach einem Vogel. Sie erwischt ihn nicht.
    »Was sagst du zu Daniele?«
    »Das tut mir sehr leid …«
    »Wie kann er so verantwortungslos sein und seine Familie zerstören!«
    »Warst du genauso ahnungslos wie wir?«
    »Nein! Und das werfe ich mir vor! Ich hatte seit ein paar Monaten den Verdacht, dass irgendwas nicht stimmt. Einmal habe ich ihn abends angerufen, und da sagte er mir, er säße noch am Schreibtisch. Aber im Hintergrund lief Musik, irgendein Popsong. Ich kenne meinen Sohn. Der hört keine Musik, wenn er Drehbücher schreibt. Schon gar keine Popmusik.« Vincenzos Gesicht ist hochrot.
    »Du darfst dich nicht so aufregen.«
    »Ich rege mich aber auf! Daniele hat uns alle belogen. Das verzeihe ich ihm nie.«
    »Möchtest du noch Tee?«
    »Nein, ich …« In seiner Wut fegt er mit der Hand die Schale vom Tisch. Sie fällt auf den Boden hinunter und zerbricht. »Ach, wie ärgerlich! Die war noch von meiner Frau …«
    Ich hebe die Scherben und das Brot auf.
    Die kleine, rundliche Chiara kommt lächelnd auf uns zu.
    »Mit mir geht’s bergab«, seufzt Vincenzo.
    Chiara schüttelt den Kopf. »Da gibt’s Schlimmeres.«

[home]
    19.
    E s ist halb elf und immer noch schwül. Ich sitze auf dem Balkon und mache mir Notizen über meine Arbeit. Drinnen läuft die Klimaanlage, aber hier zirpen die Grillen und die Blumen duften.
    Alle paar Tage versuche ich festzuhalten, wie ich vorgegangen bin, was sich für Probleme aufgetan haben. Kleine Probleme, eine Farbschattierung betreffend, oder größere, bei denen es um die Frage der richtigen Art der Restaurierung geht.

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