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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Schwiegervater besuchen.«
    »Das machst du doch sonst meistens direkt nach der Arbeit.«
    »Ja …«
    »Ich dachte an acht oder halb neun?«
    »Heute nicht, Selina. Morgen vielleicht. Ich melde mich.«
    »Wie geht es dir?«
    Das Orgelspiel endet.
    »Ich muss auflegen.«
    Mir ist schwindelig, ich habe es geahnt.
    Ich hocke mich hin und atme ein paarmal tief durch. Soll ich Selina von meiner Tochter erzählen? Sie ist verschwiegen, weiß meistens Rat. Ich kann nicht alle Menschen in meiner Umgebung belügen.
    Der Schwindel lässt nach.
    Jenseits der Plastikplanen wird getuschelt. Die Messe ist beendet. Spätestens in einer halben Stunde kommen die ersten Touristen.
    »Signora Velotti?«
    Ich richte mich auf.
    Unten steht der Küster und blickt besorgt zu mir nach oben. »Alles in Ordnung?«
    »Ja …«
    »Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Gern.«
    »Der Priester hat das telefonino nicht gehört.«
    »Entschuldigen Sie bitte, meine Freundin …«
    »Macht nichts. Ich freue mich, dass Sie wieder da sind.«
    »Ich mich auch, Signor Meloni.«

[home]
    18.
    V on Francesco höre ich nichts. Um fünf schicke ich ihm eine SMS .
Fahre zu deinem Vater. Bis später. Kuss, J.
    Es ist schwül draußen. Vor der Kirche steht eine Touristengruppe und fotografiert Berninis kleinen Marmorelefanten.
    »Warum trägt er einen Obelisken auf dem Rücken?«, fragt ein Mann mit norddeutschem Akzent.
    »Bernini ließ sich von einem Holzschnitt in einem Roman der Renaissance dazu inspirieren«, erklärt die Reiseführerin. »Sonst noch Fragen?«
    Der Mann bleibt hinter den anderen zurück, er filmt den Elefanten. Ich sehe sein hageres Gesicht. Einen Moment lang glaube ich, Harald Jansen vor mir zu haben. Ich muss mich zusammenreißen.
    Keine Antwort von Francesco.
    Meinem Fuß geht es besser. Ich nehme die Straßenbahn, eine junge Frau bietet mir ihren Platz an. Sehe ich so müde aus? In Trastevere steige ich um. Zwei Carabinieri erwischen einen Taschendieb, er ist höchstens zwölf.
    Von der Piazza Albania gehe ich zu Fuß den Aventin hinauf. Schattenspendende Bäume säumen die Straße, aus den Gärten duftet es nach Jasmin. Ab und zu fährt ein Auto vorbei, sonst ist hier niemand unterwegs. Aus einem mit Efeu bewachsenen Haus höre ich Musik. Ich bleibe stehen. Jemand übt Klavier. Eine traurige, sehnsüchtige Melodie. Ich lausche und wünschte, ich könnte meiner Tochter begegnen.
    Ich fange an zu schwitzen. Francescos Vater wird wieder mit mir schimpfen, warum ich kein Taxi genommen habe.
    Seine gelbe Villa mit den grünen Fensterläden ist eine der schönsten auf dem Aventin. Sie hat einen runden Turm, einen Balkon und einen Garten voller Palmen, Pinien und plätschernder Brunnen.
    Ich höre Kindergeschrei. Durch eine Lücke in der Hecke sehe ich die beiden ältesten Söhne von Giovanna im Pool herumtoben. Seit einigen Jahren wohnt Giovanna mit ihrer Familie im ersten Stock. Francesco wollte nicht in das Haus zurückziehen, in dem er aufgewachsen ist. Seine Entscheidung hat mich erleichtert, es hätte schwierig werden können, mit seinem Vater unter einem Dach zu leben.
    Ich gehe weiter zu dem schmiedeeisernen Gartentor, in das die Initialen
VV
eingelassen sind: Vincenzo Velotti. Eine Videokamera registriert jeden Neuankömmling. Außerdem gibt es eine Alarmanlage. Francescos Vater hält diese Sicherheitsmaßnahmen für übertrieben, aber Giovannas Mann ist Banker. Da war jede Diskussion sinnlos.
    Ich klingele, nenne meinen Namen, Chiara antwortet mir. Sie führt Francescos Vater seit dreißig Jahren den Haushalt.
    Er erwartet mich an der Tür, leicht gebeugt, mit leuchtend blauen Augen.
    »Judith, wie schön!« Er nimmt mich in die Arme. »Sag bloß, du bist bei der Hitze zu Fuß gekommen!«
    Ich nicke.
    »Dein Mann meint, mit dir sei in der Hinsicht nicht zu reden.«
    »Das stimmt.«
    »Andere würden sich freuen, eine so sparsame Ehefrau zu haben, aber Francesco macht sich Sorgen.«
    »Das braucht er nicht«, antworte ich, ohne Vincenzo anzusehen.
    »Wusstest du, dass seine Mutter auch nur im äußersten Notfall ein Taxi nahm?«
    »Nein.«
    »Sie hielt das Geld zusammen, damit ich es ausgeben konnte.« Er lacht.
    »Schade, dass ich sie nicht mehr kennengelernt habe.«
    »Ihr hättet euch gut verstanden. Dieser verfluchte Krebs …«
    Ich greife nach seiner Hand. Sie zittert.
    »Komm … Chiara hat für uns im Garten gedeckt.«
    Ich folge ihm durch sein Haus voller antiker Möbel, alter Teppiche, Asiatika und Bilder der klassischen

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