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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Woche hier arbeiten. Ich habe mich verliebt, sage ich, mein Freund wird mir das Geld leihen. Luigi runzelt die Stirn. Und was ist, wenn die Beziehung auseinandergeht? Ich glaube, sie wird halten. Für den Fall, dass du dich täuschst, rufst du mich an. Versprochen? Ja, sage ich. Du kannst hier jederzeit wieder anfangen. Danke, Luigi.
     
    Um zehn vor acht betrete ich die Pizzeria. Die rotkarierten Tischdecken und das Vorspeisenbuffet sind verschwunden, statt der Fotos aus den fünfziger Jahren hängen abstrakte Bilder an den Wänden.
    Ein junger Kellner fragt, ob ich reserviert habe. Ich nenne Selinas Namen, er nickt und führt mich zu einem Tisch in der hinteren Ecke.
    »Wie geht es Luigi?«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Hat er die Pizzeria verkauft?«
    »Ich arbeite seit zwei Jahren hier. Einen Luigi kenne ich nicht.«
    Warum habe ich mich nie bei ihm gemeldet? Siebzehn Jahre lang nicht. Ich verdanke ihm so viel. Es hätte ihn interessiert zu hören, wie ich mit meiner Ausbildung zurechtkomme. Wollte ich nicht an meine Anfangszeit in Rom erinnert werden?
    Eine Kellnerin in meinem Alter bleibt neben mir stehen. »Luigi ist schon lange tot«, sagt sie leise. »Herzinfarkt. Sein Sohn hatte kein Interesse, den Laden zu übernehmen.«
    Ich wusste nicht einmal, dass er einen Sohn hatte.
    »Waren Sie früher häufiger hier?«
    »Ich habe hier gearbeitet.«
    Sie schaut mich ungläubig an.
    »Bis 1994 .«
    »Ich habe 1999 angefangen. Ein Jahr später ist Luigi gestorben. Er war ein sehr guter Chef …«
    Der junge Kellner bringt mir die Karte und fragt, ob ich etwas trinken möchte. Ich bestelle eine große Flasche Wasser.
    »Judith!« Selina gibt mir einen Kuss auf die Wange.
    Ich habe sie nicht kommen sehen.
    »Bei uns ging’s mal wieder chaotisch zu.«
    »Schön, dass es geklappt hat.«
    »Ich habe einen irrsinnigen Hunger.«
    Wir entscheiden uns beide für prosciutto e melone, hausgemachte Tagliatelle mit Steinpilzen und einen halben Liter Pinot Grigio. Die Preise haben es in sich, im Gegensatz zu damals.
    »Wie geht es deiner Mutter?«
    Ich fasse den Stand der Dinge zusammen. Es sind nur ein paar Sätze.
    »Und jetzt?«
    »Francesco meint, ich solle sie nach Rom holen.«
    »Das halte ich auch für das Beste. Du kannst nicht ständig nach Hamburg fahren.«
    Die Vorspeise wird serviert, wir beginnen zu essen. Wie soll ich es ihr sagen? Da gibt es etwas, worüber ich zwanzig Jahre mit niemandem gesprochen habe. Behalte es bitte für dich. Nein, keine lange Vorrede. Ein Satz, vier Wörter. Ich habe eine Tochter.
    »Judith?«
    »Wie bitte?«
    »Ich habe dich gefragt, wie es deinem Fuß geht.«
    »Besser.«
    »Hat Francesco dich überreden können, nach Sardinien zu fahren?«
    »Nein.«
    »Schade. Ich fand das eine gute Idee.«
    »Mein Fresko ist mir im Moment wichtiger.«
    »Das ist ja nichts Neues.«
    Der Satz ärgert mich. Was versteht Selina von der Arbeit einer Restauratorin? Oder von irgendeiner Arbeit? Sie hat Spanisch und Französisch studiert und vor ihrer Heirat ein halbes Jahr lang Touristengruppen durch Rom geführt.
    Die Kellnerin zwinkert mir zu. Ich lächele.
    »Kennst du sie?«
    Ich schüttele den Kopf und erzähle Selina von dem kurzen Gespräch, von meinem Job, von der ersten Begegnung mit Francesco. Der Themenwechsel erleichtert mich.
    »Stimmt, du hast irgendwann mal erwähnt, dass du ihn beim Kellnern kennengelernt hast.« Ihre Stimme klingt gelangweilt.
    Ich gebe nicht auf. »So ein Zufall, dass du ausgerechnet diese Pizzeria vorgeschlagen hast. Wie bist du darauf gekommen?«
    Sie zuckt mit den Achseln. »Es gab ein paar gute Besprechungen in verschiedenen Magazinen. Giuseppe und ich waren am letzten Freitag hier …«
    Das Gespräch verebbt. Ich trinke den Wein viel zu schnell.
    Wir essen unsere Tagliatelle, ich erkundige mich nach ihren Kindern. Sie berichtet von kleineren und größeren Katastrophen.
    Auf den Nachtisch und den caffè verzichten wir.

[home]
    21.
    D er Regen peitscht mir ins Gesicht, mein Overall klebt auf der Haut, ich wate durch Pfützen, verliere beinahe einen Schuh. Ich darf nicht zu spät kommen. Besetzte Busse, Bahnen, Taxen fahren an mir vorbei. Ich irre durch unbekannte Straßen, überquere drei Brücken, lande in einem Tunnel ohne Fußgängerweg. Wenn Francesco vor mir die Post herausnimmt. Mir ist kalt. Ich kehre um, suche einen Pfad über den Hügel, verfange mich im Brombeergestrüpp. Plötzlich spüre ich neben mir eine Bewegung. Ein räudiger Hund leckt mir die

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