Ferne Ufer
mochten Ian und Jenny davon halten? Obwohl sie zweifellos über Laoghaire Bescheid wußten, hatten sie mich gestern abend aufgenommen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Falls Laoghaire fortgeschickt worden war, weshalb war sie dann zurückgekommen? Mir brummte schon der Kopf.
Mein Wutausbruch hatte zumindest bewirkt, daß meine Finger nicht mehr zitterten. Ich versetzte dem Korsett einen Tritt, und es landete in der Ecke. Dann streifte ich mir das grüne Kleid über.
Ich mußte hinaus. Das war der einzige halbwegs vernünftige Gedanke, zu dem ich fähig war und an dem ich festhielt. Ich mußte verschwinden. Ich konnte nicht bleiben. Schon gar nicht unter einem Dach mit Laoghaire und ihren Töchtern. Sie gehörten hierher, ich nicht.
Diesmal gelang es mir, den Strumpfhalter zu befestigen, das Kleid zu schnüren und die unzähligen Haken des Rockes zu schließen. Ich fand auch meine Schuhe. Der eine lag unter dem Waschgestell, der andere neben dem großen Eichenschrank, wo ich sie vergangene Nacht zusammen mit meinen Kleidern nachlässig hingeschleudert hatte, um rasch in das einladende Bett zu kriechen und mich in Jamies Arme zu schmiegen.
Ich fröstelte. Das Feuer war wieder ausgegangen, und vom Fenster her zog es eiskalt.
Ich vertat Zeit mit der Suche nach meinem Umhang, bis mir einfiel, daß ich ihn gestern abend im Salon gelassen hatte. Zu aufgeregt, um nach einem Kamm Ausschau zu halten, fuhr ich mir mit den Fingern durch die Frisur.
Fertig. So gut es eben ging. Als ich mich noch einmal umschaute, hörte ich Schritte auf der Treppe.
Es war Jamies schwerer Schritt - und er war bestimmt nicht darauf erpicht, mich zu sehen.
Sei’s drum, mir ging es genauso. Es war besser, einfach zu gehen, ohne noch groß miteinander zu reden. Was gab es denn zu sagen?
Als sich die Tür öffnete, wich ich unwillkürlich zurück, bis ich an der Bettkante anstieß. Ich verlor das Gleichgewicht und setzte mich. Jamie blieb in der Türe stehen, den Blick auf mich gerichtet.
Er hatte sich rasiert. Das war das erste, was mir auffiel. Wie der junge Ian tags zuvor, hatte er sich rasch rasiert, das Haar zurückgebürstet und sich gewaschen, bevor er sich den Unannehmlichkeiten stellte. Offenbar konnte er meine Gedanken lesen. Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht, als er sich das glatte Kinn rieb.
»Meinst du, es nützt was?« fragte er.
Ich schluckte und fuhr mir mit der Zunge über die trockenen Lippen, sagte aber nichts. Seufzend beantwortete er die Frage selbst.
»Nein, vermutlich nicht.« Er trat ins Zimmer und schloß die Tür
hinter sich. Einen Augenblick stand er unschlüssig da, bevor er sich dem Bett näherte und mir eine Hand entgegenstreckte. »Claire…«
»Rühr mich nicht an!« Ich sprang auf und wollte an ihm vorbei zur Tür entwischen. Er ließ die Hand sinken und stellte sich mir in den Weg.
»Kann ich es dir nicht erklären, Claire?«
»Für Erklärungen scheint es mir reichlich spät«, sagte ich. Es sollte kalt und verächtlich klingen, aber leider bebte meine Stimme.
»Du warst doch nie unvernünftig«, sagte er ruhig.
»Erzähl mir nicht, wie ich einmal war!« Ich war den Tränen so nahe, daß ich mir auf die Lippen biß, um sie zurückzuhalten.
»Wir leben nicht zusammen«, sagte er. »Sie und die Mädchen wohnen in Balriggan, in der Nähe von Broch Mordha.« Er blickte mich unverwandt an. Als ich schwieg, zuckte er die Achseln.
»Unsere Ehe war ein großer Fehler.«
»Bei zwei Kindern? Hat eine Weile gedauert, bis es dir aufgefallen ist, was?« platzte ich heraus. Hart preßte er die Lippen aufeinander.
»Die Mädchen sind nicht von mir. Laoghaire war Witwe und hatte die zwei Kinder bereits, als wir geheiratet haben.«
»Ach so.« Es machte zwar keinen großen Unterschied, trotzdem empfand ich so etwas wie Erleichterung, um Briannas willen. Sie war Jamies einziges leibliches Kind, selbst wenn ich…
»Ich lebe seit einiger Zeit nicht mehr mit ihnen zusammen. Ich wohne in Edinburgh, und von dort schicke ich ihnen Geld, aber…«
»Du brauchst es mir nicht zu erzählen«, unterbrach ich ihn. »Es ist einerlei. Laß mich bitte vorbei - ich gehe.«
Die buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Wohin?«
»Zurück. Weg. Ich weiß noch nicht - laß mich vorbei.«
»Du gehst nirgendwohin«, sagte er entschieden.
»Du kannst mich nicht aufhalten.«
Er packte meine beiden Arme.
»Doch, das kann ich«, sagte er. Es stimmte. Ich wehrte mich wütend, konnte mich jedoch aus
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