Ferne Ufer
dem eisernen Griff nicht befreien.
»Laß mich auf der Stelle los!«
»Nein.« Mit schmalen Augen funkelte er mich an. Die äußere Ruhe hatte er nur vorgetäuscht, in seinem Innersten war er mindestens so aufgebracht wie ich. Er schluckte und rang um Selbstbeherrschung.
»Ich lasse dich nicht gehen, bevor ich dir nicht erklärt habe, weshalb…«
»Was gibt es da zu erklären?« fragte ich zornig. »Du hast wieder geheiratet. Ist sonst noch was?«
Zunehmende Röte machte sich auf seinem Gesicht breit. Seine Ohrenspitzen waren bereits dunkel gefärbt, ein untrügliches Zeichen aufkeimender Weißglut.
»Hast du etwa zwanzig Jahre lang wie eine Nonne gelebt?« wollte er wissen, während er mich schüttelte. »Sag mir das.«
»Nein!« schleuderte ich ihm entgegen, woraufhin er zurückzuckte. »Nein, natürlich nicht! Und ich habe nie angenommen, daß du wie ein Mönch gelebt hast!«
»Also…«, setzte er erneut an, doch ich war zu erregt, um ihn anzuhören.
»Du hast mich angelogen, verdammt noch mal!«
»Ich habe dich niemals angelogen!«
»Doch, du Bastard! Du weißt es ganz genau! Laß mich los.« Ich trat ihm so heftig gegen das Schienbein, daß jegliches Gefühl aus meinen Zehen wich. Er schrie auf vor Schmerz, lockerte aber seinen Griff nicht, sondern drückte noch fester zu, bis ich aufheulte.
»Nicht ein einziges Mal habe ich etwas zu dir gesagt…«
»Stimmt, das hast du nicht! Trotzdem hast du gelogen. Du hast mich in dem Glauben gelassen, du seist unverheiratet und es gäbe niemanden und… daß du…« Ich keuchte und schluchzte fast vor Wut. »Du hättest es mir in dem Augenblick sagen sollen, wo wir uns begegnet sind. Warum, zum Teufel, hast du es nicht getan?« Er löste seinen Griff, und ich entwand mich. Mit zornfunkelnden Augen trat er ganz nahe an mich heran. Aber ich fürchtete mich nicht vor ihm, sondern holte aus und versetzte ihm einen Fausthieb gegen die Brust.
»Warum?« kreischte ich, während ich auf ihn einhieb. »Warum nur?«
»Weil ich Angst hatte!« Er packte mich an den Handgelenken
und drängte mich rückwärts, bis ich aufs Bett fiel. Keuchend stand er über mich gebeugt.
»Weil ich ein Feigling bin, Himmel noch mal! Ich konnte es dir nicht erzählen, aus Angst, dich zu verlieren. Ich war nicht Manns genug, das zu ertragen!«
»Nicht Manns genug? Mit zwei Ehefrauen? Pah!«
Als er die Hand erhob, fürchtete ich, er würde mich schlagen. Doch er ballte sie nur zur Faust.
»Bin ich ein Mann? Wo mich so sehr nach dir verlangt, daß nichts anderes mehr zählt? Daß ich Ehre, Familie oder gar mein Leben opfern würde, nur um bei dir zu liegen, obwohl du mich verlassen hast?«
»Du besitzt die unglaubliche, himmelschreiende, verdammte Frechheit, so etwas zu mir zu sagen?« Meine Stimme war so hoch, daß sie nur noch als dünnes, boshaftes Flüstern zu vernehmen war. »Du gibst mir die Schuld?«
»Nein, ich kann dir nicht die Schuld geben.« Er wandte sich blind ab. »Wie auch? Du wolltest bei mir bleiben und mit mir sterben.«
»Das wollte ich allerdings, ich Dummkopf«, sagte ich. »Du hast mich zurückgeschickt! Und jetzt wirfst du mir vor, daß ich gegangen bin?«
Verzweifelt drehte er sich wieder zu mir um.
»Ich mußte dich wegschicken. Ich mußte es tun - wegen des Kindes!« Unwillentlich wanderte sein Blick zu dem Haken, an dem sein Rock mit den Fotos von Brianna hing. Er seufzte tief und bemühte sich um Gelassenheit.
»Nein«, sagte er. »Es tut mir nicht leid, was immer es gekostet hat. Ich hätte mein Leben für dich und das Kind gegeben. Mein Herz und meine Seele hätte ich gegeben…«
Er versuchte seiner aufwallenden Gefühle Herr zu werden.
»Ich kann dir nicht vorwerfen, daß du fortgegangen bist.«
»Dann wirfst du mir vor, daß ich zurückgekommen bin.«
Er schüttelte den Kopf. Er nahm meine Hände so fest zwischen seine, daß es mir fast weh tat.
»Weißt du, was es bedeutet, zwanzig Jahre ohne Liebe zu leben, wie ein halber Mensch? Sich daran zu gewöhnen, mit dem kläglichen Rest seiner Selbst zu leben und die Leere mit dem zu füllen, was einem gerade begegnet?«
»Ob ich es weiß?« wiederholte ich. Ich mühte mich vergeblich, mich aus seinem Griff zu befreien. »Ja, du verdammter Mistkerl, ich weiß es. Denkst du, ich bin geradewegs zu Frank zurückgegangen und habe glücklich an seiner Seite weitergelebt?« Ich versetzte ihm einen Tritt, so fest ich konnte. Er zuckte zusammen, ließ aber nicht locker.
»Manchmal hoffte ich, du
Weitere Kostenlose Bücher