Ferne Ufer
vorbereitet. Also konnte ich mich nicht davonstehlen, ohne gesehen zu werden.
Plötzlich ertönte ein Triumphgeheul, und die Gestalten stürzten zum Feuer. Wahrscheinlich machten sie sich am Krokodil zu schaffen, das, kopfüber von den Stöcken der Jäger baumelnd, gemeinsam mit mir auf der Lichtung eingetroffen war.
Vorsichtig stemmte ich mich auf die Knie. Konnte ich mich davonschleichen, während sie beschäftigt waren? Wenn ich es bis zum nächsten Zuckerrohrfeld schaffte, würden sie mich wohl kaum erwischen. Andererseits war ich mir keineswegs sicher, ob ich so allein in tiefdunkler Nacht den Weg zum Flußufer finden würde.
Sollte ich statt dessen das Wohnhaus suchen und hoffen, dabei auf Jamie und seine Rettungsmannschaft zu stoßen? Beim Gedanken an das Haus und den starren Leichnam auf dem Boden des Salons kroch mir eine Gänsehaut über den Rücken. Wenn ich jedoch weder zum Haus noch zum Fluß ging, wie sollte ich in dieser Nacht, die dunkler war als des Teufels Achselhöhle, meine Leute finden?
Unsanft wurde ich aus meinen Grübeleien gerissen, als ein Schatten in der Tür erschien. Ich wagte einen Blick, fuhr senkrecht in die Höhe und schrie.
Leise kam die Gestalt herein und kniete sich vor mein Lager.
»Nicht so viel Lärm, Frau«, sagte Ismael. »Das bin nur ich.«
»Aha«, entgegnete ich. Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn, und mein Herz schlug wie ein Dampfhammer. »War mir gleich klar.«
Sie hatten dem Krokodil den Kopf abgetrennt und ihm Zunge und Mundboden herausgeschnitten, und anschließend hatte sich Ismael das riesige Ding wie einen Hut über den Kopf gestülpt. Seine Augen schimmerten zwischen den Zähnen hervor, und vor seinem Kinn wippte der leere Unterkiefer des Reptils.
»Hat das egungun Sie verletzt?« fragte er.
»Nein«, antwortete ich. »Den Männern sei Dank. Äh, wollen Sie das nicht abnehmen?«
Er ging auf meine Bitte nicht ein. Statt dessen kniete er sich hin und überlegte offensichtlich, was er mit mir machen sollte. Zwar konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber jede Linie seines Körpers drückte Unentschlossenheit aus.
»Warum sind Sie hier?« fragte er schließlich.
Weil mir nichts Besseres einfiel, erzählte ich es ihm. Er würde mir wohl kaum den Schädel einschlagen, denn wenn das in seiner Absicht lag, hätte er es schon längst tun können.
»Aha«, sagte er, als ich geendet hatte. Die Schnauze der Echse wippte leise, während er überlegte. Aus dem runden Nasenloch fiel ein Tropfen auf meine Hand. Voller Ekel wischte ich sie mir am Rock ab.
»Die Missus ist heute abend nicht da«, erklärte Ismael nach kurzem Zögern, als wüßte er nicht genau, ob er mir diese Information anvertrauen durfte.
»Ja, ich weiß.« Ich richtete mich auf und machte Anstalten aufzustehen. »Können Sie - oder einer Ihrer Männer - mich zum großen Baum am Fluß zurückbringen? Mein Mann sucht mich sicher schon.«
»Wahrscheinlich hat sie den Jungen mitgenommen«, fuhr Ismael fort, ohne auf mich zu achten.
Als er mir bestätigte, daß Geillis fortgegangen war, hatte ich erleichtert aufgeatmet, doch nun blieb mir wieder einmal die Luft weg.
»Sie hat Ian mitgenommen? Warum?«
Die Augen, die mir aus dem Krokodilsrachen entgegenschimmerten, blitzten auf.
»Die Missus mag junge Männer«, erklärte er boshaft. Sein Ton ließ eindeutig darauf schließen, wie die Bemerkung gemeint war.
»So?« fragte ich entmutigt. »Wissen Sie, wann sie zurückkommt?«
Die lange, zähnestrotzende Schnauze fuhr nach oben, doch ehe Ismael antwortete, spürte ich, daß jemand hinter mir stand. Ich schoß herum.
»Sie kenne ich doch«, sagte die Frau. Die breite, weiche Stirn
in leichte Falten gezogen, sah sie auf mich herab. »Oder etwa nicht?«
»Ja, wir haben uns schon kennengelernt.« Ich schluckte schwer. »Wie geht es Ihnen, Miss… Miss Campbell?«
Offensichtlich besser als bei unserer letzten Begegnung, obwohl ihr hübsches Wollkleid inzwischen von einem losen Gewand aus weißer Baumwolle abgelöst worden war, das von einem indigoblauen Streifen aus dem gleichen Stoff zusammengehalten wurde. Gesicht und Figur wirkten schlanker als früher, und sie hatte die ungesunde Blässe verloren.
»Danke, es geht mir gut, Madam«, erwiderte sie höflich. Aber die hellblauen Augen schienen noch immer in weite Ferne zu blicken, und trotz der ungewohnten Sonnenbräune war deutlich, daß sich Miss Campbell auch weiterhin nicht im Hier und Jetzt befand.
Daß sie von Ismaels ungewöhnlichem
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