Ferne Ufer
Höhe meiner Knie zum Leben erwacht. Neben mir geriet ein großes Etwas in Bewegung, und ein kräftiger Schlag gegen meine Unterschenkel brachte mich zu Fall.
Ich schrie, und im selben Moment hörte ich ein grauenvolles Geräusch - ein lautes, grunzendes Zischen, welches mir bestätigte, daß ich mich in engster Auseinandersetzung mit einem riesigen, stinkenden Ungetüm befand.
Ich war auf dem Hintern gelandet, wartete nun allerdings nicht weiter ab, sondern rollte mich herum und ergriff auf allen vieren die Flucht. Das grunzende Zischen folgte mir, wurde lauter, und daneben hörte ich ein glitschendes Trappeln. Als das Etwas meinen Fuß streifte, richtete ich mich auf und rannte, so schnell mich die Füße trugen, davon.
Ich war so in Panik, daß ich nicht merkte, wie es heller wurde - bis sich plötzlich der Mann vor mir aufrichtete. Ich prallte gegen ihn, und die Fackel, die er trug, fiel zu Boden.
Hände griffen nach meinen Schultern, und hinter mir hörte ich Rufe. Mein Gesicht wurde an eine unbehaarte, leicht nach Moschus riechende Brust gedrückt. Dann fand ich wieder festen Halt, schnappte nach Luft, und als ich mich zurücklehnte, sah ich in das Gesicht eines schwarzen Sklaven, der voller Schrecken auf mich herabblickte.
»Missus, was tun Sie hier?« fragte er. Aber noch ehe ich antworten konnte, wurde ich von den Ereignissen hinter mir abgelenkt. Der Griff an meinen Schultern lockerte sich, und ich wandte mich um.
Sechs Männer umringten die Bestie. Zwei von ihnen hielten Fackeln in die Höhe, so daß der Lichtschein auf die anderen fiel. Sie alle trugen nichts als einen Lendenschurz, und ihre angespitzten Holzstöcke richteten sie auf die eingekreiste Beute.
Noch immer zitterten mir die Beine von dem Schlag, doch als ich sah, von wem er stammte, hätten sie beinahe unter mir nachgegeben. Es war fast vier Meter lang, und sein gepanzerter Körper hatte den Umfang eines Rumfäßchens. Als der lange Schwanz plötzlich zur Seite ausschlug, sprang der Mann in seiner Nähe mit einem Warnruf in Sicherheit. Das Tier wandte den Kopf, riß den Oberkiefer hoch und ließ ein neuerliches Zischen ertönen.
Deutlich hörbar klappte es dann den Kiefer wieder zu. Nichtsdestotrotz zeigte es den berühmten Unterkieferzahn, der einem den Eindruck vermittelte, es hätte ein böses, selbstzufriedenes Grinsen aufgesetzt.
»Hüte dich vor dem Grinsen des Krokodils«, lautete mein dummer Kommentar.
»Ja, Madam, da haben Sie wohl recht«, stimmte der Sklave mir zu. Er wandte sich von mir ab und näherte sich vorsichtig dem Zentrum des Geschehens.
Die Männer mit den Stöcken stachen auf das Tier ein, offensichtlich, um es zu ärgern, und anscheinend mit Erfolg. Seine fetten, breiten Beine gruben sich in den Boden, und knurrend wagte die Bestie einen Angriff. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit schoß sie nach vorne. Der Mann, den sie ins Visier genommen hatte, schrie auf und sprang nach hinten, rutschte auf dem matschigen Grund jedoch aus und stürzte zu Boden.
Der Sklave, mit dem ich zusammengeprallt war, schwang sich nach vorn und warf sich auf den Rücken des Krokodils. Seine Kollegen mit den Fackeln hüpften vor und zurück und riefen den Freunden aufmunternde Worte zu. Einer von den Bewaffneten besaß offensichtlich mehr Mut als die anderen. Er beugte sich vor und hieb mit dem Stock auf den breiten, abgeflachten Kopf der Bestie, um sie abzulenken. Diesen Augenblick nutzte der gestürzte Sklave, um sich, auf dem Hintern rutschend, in Sicherheit zu bringen.
Schon griff der Mann auf dem Rücken des Krokodils in, wie mir schien, selbstmörderischer Absicht nach dem Maul des Tieres. Während er sich mit einem Arm an seinem Hals festhielt, schaffte er es, das Ende der Schnauze zu umklammern und ihm das Maul zuzuhalten. Gleichzeitig schrie er seinen Freunden etwas zu.
Unvermittelt trat eine Gestalt, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, aus dem Zuckerrohrfeld. Vor den Kämpfenden ging er in die Hocke und zog, ohne zu zögern, eine Schlinge über das Maul der Echse. Die Rufe steigerten sich zu einem Triumphgeheul, doch ein scharfes Wort von der knienden Gestalt ließ sie auf der Stelle verstummen.
Er stand da, wies hektisch mit den Händen und brüllte Kommandos. Zwar sprach er kein Englisch, doch es war deutlich,
worum es ging: Noch peitschte der Schwanz des Tieres von einer Seite zur anderen. Er hätte jeden Mann zu Boden geschickt, der in seine Reichweite kam. Als mir klarwurde, welche Kraft er besaß, konnte ich mich nur
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