Ferne Ufer
Aufzug nicht die geringste Notiz nahm, unterstrich diesen Eindruck nur noch. Überhaupt schien sie Ismael nicht wahrzunehmen. Sie hielt ihren Blick unverwandt auf mich gerichtet, wobei ein Hauch von Neugier über ihre gleichgültigen Züge zog.
»Wie nett, daß Sie mir Ihre Aufwartung machen, Madam«, stellte sie fest. »Kann ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Ein Täßchen Tee vielleicht? Mit einem Gläschen Bordeaux kann ich leider nicht dienen, denn mein Bruder hält alles Alkoholische für eine Versuchung.«
»Da hat er wohl recht.« Allerdings hätte ich gegen eine solche Versuchung im Augenblick nichts einzuwenden gehabt.
Ismael, der aufgestanden war, beehrte Miss Campbell mit einer tiefen Verbeugung, wobei ihm der Krokodilskopf fast vom Schädel gerutscht wäre.
»Bist du bereit, bébé ?« fragte er leise. »Das Feuer wartet schon.«
»Das Feuer«, sagte sie. »Ja, natürlich.« Dann wandte sie sich zu mir um.
»Wollen Sie sich mir anschließen, Mrs. Malcolm?« fragte sie huldvoll. »Der Tee wird gleich serviert. Es ist mir immer wieder eine Freude, ein Feuer zu sehen«, gestand sie, als ich mich erhob. »Haben Sie nicht auch manchmal den Eindruck, im Feuer Bilder zu sehen?«
»Hin und wieder«, antwortete ich. Ich warf Ismael, der an der Tür stand, einen Blick zu. Seine Haltung verriet Unentschlossenheit. Als Miss Campbell jedoch ungerührt auf die Tür zuging und mich hinter sich her zog, zuckte er die Achseln und trat zur Seite.
Vor den Hütten auf der Lichtung brannte fröhlich ein kleines, offenes Feuer. Dem Krokodil war bereits die Haut abgezogen worden. Sie trocknete auf einem Rahmen neben einer der Hütten. Im Umkreis des Feuers steckten mehrere angespitzte Stöcke im Boden, auf die größere Fleischbrocken gespießt worden waren. Von ihnen stieg ein leckerer Duft auf, aber mein Magen zog sich dennoch zusammen.
Etwa ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder saßen lachend und schwatzend um das Feuer. Einer der Männer spielte auf einer abgestoßenen Gitarre und sang leise.
Als ein Junge sah, daß wir aus der Hütte kamen, wandte er sich hastig um und sagte etwas wie »Hau!«. Auf der Stelle verstummten Gelächter und Geplapper, und eine ehrfürchtige Stille breitete sich aus.
Ismael trat langsam auf die Versammelten zu, die uns mit tiefschwarzen Augen entgegensahen.
Neben dem Feuer, auf einer Art Podium aus aufgeschichteten Holzplanken, stand eine kleine Bank. Offensichtlich ein Ehrenplatz, denn Miss Campbell steuerte direkt darauf zu und forderte mich mit einer Handbewegung auf, neben ihr Platz zu nehmen.
Die anderen musterten mich mit Gefühlen, die von Feindseligkeit bis zu verdeckter Neugier reichten, doch im Grunde galt ihre Aufmerksamkeit allein Miss Campbell. Als ich die Gesichter im Kreis betrachtete, wurde mir klar, wie fremd mir diese Menschen waren. Die Menschen Afrikas, völlig anders als wir und anders auch als Joe, auf dem der Stempel des Erbes verblaßt war, getrübt von Generationen europäischen Bluts. Trotz seiner schwarzen Hautfarbe hatte Joe mehr Ähnlichkeiten mit mir als mit seinen mir durch und durch fremdartigen Vorfahren.
Der Musiker hatte die Gitarre beiseite gelegt und eine kleine Trommel hervorgeholt, die er jetzt zwischen die Knie klemmte. Sie war mit dem Fell eines gescheckten Tieres bezogen, vielleicht einer Ziege. Leise begann er, mit den Handflächen einen verhaltenen Rhythmus zu schlagen, der an Herzschläge erinnerte.
Ich sah Miss Campbell an, die schweigend dasaß und die Hände im Schoß verschränkt hatte. Mit einem verträumten, zarten Lächeln auf den Lippen starrte sie geradeaus in die züngelnden Flammen.
Plötzlich teilte sich der Kreis der Sklaven, und zwei kleine Mädchen kamen auf uns zu. Sie trugen einen großen Korb, dessen Henkel mit weißen Rosen verziert war. Irgend etwas zappelte in seinem Inneren.
Ängstlich auf den grotesken Kopfschmuck blickend, stellten die Mädchen den Korb vor Ismael ab. Er legte ihnen die Hand auf den Kopf, murmelte ein paar Worte und entließ sie.
Bis dahin hatten sich die Zuschauer in ehrfürchtiges Schweigen gehüllt. Jetzt rückten sie stumm näher zusammen und reckten die Hälse, um sich auch ja nichts entgehen zu lassen. Der Rhythmus der Trommel blieb zwar leise, wurde aber schneller. Eine der Frauen trat mit einer irdenen Flasche in der Hand vor, reichte sie Ismael und reihte sich dann wieder in die Schar der Sklaven ein.
Ismael goß den Inhalt der Flasche - anscheinend Schnaps - sorgfältig auf den
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