Ferne Verwandte
zerstört hatte. Sie war nur nicht darauf gekommen, weil noch ein Rest von Traditionalismus in ihr steckte: Männer sind eine Sache, Frauen eine ganz andere, klar. Aber sie hatte schließlich neunzehn Mädchen an den Mann zu bringen, und hinter der Ehre jeder Einzelnen her sein zu wollen war verlorene Liebesmüh. So kam es, dass Ildina noch vor Tea heiratete und mit ihrem jungen Gemahl in das ferne und märchenhafte Land der
Gauchos aufbrach - von wo sie beide nie mehr zurückkehren sollten, da sie Jahre später der Tragödie der Desaparecidos zum Opfer fielen. Aber wer hätte in jener Sommernacht an so etwas gedacht?
Ich blieb unterdessen meinem Schwur treu, spionierte ab sofort meinen Cousinen nach, wenn sie sich auszogen, sprang sie an, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab, und hielt auch an meinen Treffen mit Danila fest. Endlich war es mir gelungen, eines der Turist -Mädchen in den Park beim Kloster zu führen, auch wenn sie mich trotz ihrer Herkunft aus dem Norden weder nach der Party noch an jenem Tag, an dem sie nach Chioggia zurückfuhr, ein weiteres Mal küssen wollte.
Dann heiratete auch Tea. Wir verabschiedeten sie am Tag danach. Sie saß in einem schwarzen Fiat 1100, am Steuer daneben saß der Austroungarico , der sich nie zuvor so kerzengerade gehalten hatte, und bald verstummten auch die Lieder aus den Jukeboxes, und die Piazza lag wieder wie ausgestorben da.
12
Ich stand frühmorgens auf. Vor Kälte starr verweilte ich im Lokus - es war immer noch derselbe, der wie ein Schilderhäuschen über dem Tal schwebte -, bis ich meine Großmutter Carliinooo rufen hörte. Wird das denn ewig so weitergehen?, fragte ich mich. Ich brauchte Zeit und Konzentration, besonders jetzt, da auch die letzte meiner zwanzig Cousinen geheiratet hatte und ich gezwungen war, eine neue Nutzungsmöglichkeit von Illustrierten zu testen - außer sie zu lesen und mir den Hintern damit abzuwischen: Toilettenpapier war nach wie vor Luxus. Aber auch die Zeitschriften hatten wir nicht käuflich erworben.
Es waren Wochenblätter für die Familie. Mein Onkel Teodorino ließ sie sich vom Barbier mitgeben, wenn sämtliche Kunden sie bis zum Überdruss durchgeblättert hatten, aber es kam immer wieder vor, dass ich doch noch etwas Interessantes entdeckte. Zum Beispiel in der bereits völlig zerfledderten Ausgabe von Oggi , die ich im Spülkasten versteckt hielt: Ein Bild zeigte Ministerpräsident Fanfani, der eine Rede hielt, und in der ersten Reihe eine Dame, die im Blitzlicht ihre Augen halb geschlossen und die Beine so übereinandergeschlagen hatte, dass über dem schwarzen Strumpf ein Stück von ihrem weißen Schenkel hervorschaute. Während mein Sperma endlich an der abgeschilferten Tür landete - es war so wenig Platz da drinnen - und mein junger Körper von Schaudern der Lust und der Kälte geschüttelt wurde - durch die Ritze des Schilderhäuschens, das wie jedes Schilderhäuschen nicht verglast war, fuhr mir eine gemeine Bö in die Flanke -, dachte ich sehnsüchtig
an schönere Zeiten zurück. Bis zum letzten Jahr hatte ich nämlich Besseres zur Verfügung gehabt: Ich hatte nichts zu tun brauchen als die Schubladen meiner Cousinen zu öffnen, auch wenn meine wahre Passion darauf abzielte, mir das Notwendige auf riskantere Weise zu besorgen.
Wenn alle schliefen, schlich ich auf Zehenspitzen durch das Haus. Immer auf der Hut, blieb ich vor den Zimmern meiner jungen Blutsverwandten stehen. Die Träume in der Frühphase ihres Schlafes versetzten die Luft in Schwingungen, die sich auf Vorhänge, Lampen und die korallenfarbenen Perlchenfransen der Lampenschirme übertrugen und sie sanft wie Algen in der Tiefe des Ozeans hin- und herwogen ließen. Auch in den mondlosen Nächten konnte ich diese Wellen erkennen; vom unnatürlichen Glimmen, das mit der Erregung einhergeht, erleuchtet, katalogisierte ich die Strömungen dieser häuslichen Meere - das Beben, das Keuchen, das Stöhnen - wie im Seewetterbericht im Radio. Den hatte ich mir soeben im Bett noch wie eine geheimnisvolle Abenteuergeschichte angehört und mir in den Pausen zwischen den einzelnen Meldungen alles nur vorzustellen brauchen - Leuchtturmwärter, fern vom Weltgetriebe, arme, sich selbst überlassene Fischkuttermannschaften, yachtsmen auf ihren Jachten, nicht nur vom Sturm ihrer Gefühle überrascht - jeder liebt die Frau des anderen und wird von dieser wiedergeliebt -, sondern auch von jenem echten, der sich auf andere Weise verheerend auswirkt. Und dann die
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