Ferne Verwandte
Tatsache bewusst geworden, bedeutete das eines der schlimmsten Unglücke, die einem in einem Nest im Süden, das etwas auf sich hält, zustoßen können, und es brachte mich fast um. So weit also hatte mich das Regime der Großmutter heruntergewirtschaftet - mein Gott, wie ich sie hasste! Früher war ich normal gewesen - mehr als normal, wenn man bedenkt, dass ich mich bereits als Siebenjähriger an Tea herangemacht hatte -, und jetzt würden alle merken, was für einer ich wirklich war. Ja, sie hatten schon angefangen. Nun begriff ich erst, warum meine Mannschaftskollegen sich zugrinsten, wenn ich mich erschöpft über das Spielfeld schleppte, und sich jedes Mal grausam zublinzelten, wenn ich den Ball verfehlte: Das ist nichts für Weichlinge, geh nach Hause zu deinen Büchern oder in die
Kirche und widme dich deinem Instrument (Letzteres natürlich in Gänsefüßchen), schienen sie sagen zu wollen.
So ging es Tag für Tag weiter. Ich blieb auf dem Balkon, allein mit meiner Qual und ohne den Trost, den mir die Bücher und mein Gefühl, ein Dichter zu sein, bis dahin gespendet hatten. Ich hattenämlich beschlossen, aus meinem Charakter jegliche weibliche Spur zu tilgen. Statt zu lesen oder Gedichte zu verfassen - gibt es überhaupt etwas Weibischeres? -, widmete ich mich der männlichen Stählung des Körpers, und auch in die Kirche setzte ich wegen des Instruments in Gänsefüßchen keinen Fuß mehr. Ich unterzog mich gymnastischen Übungen - diesbezüglich ließ ich mich von Tea beraten -, mit dem einzigen Resultat, dass meine Gedanken, sobald ich ermüdete, mit derselben Sicherheit zu Nicolás wanderten wie die Wolken, die über meinem Kopf unbewusst in dieselbe Richtung segelten wie der Wind. Dann bemerkte ich an einem dieser traurigen Nachmittage, dass die Lieder aus den Jukeboxes seltener wurden und das Summen von der Piazza abflaute, um schließlich ganz zu verstummen. Stattdessen drang aus der Ferne der Lärm einer Menschenmenge an mein Ohr, unterbrochen von plötzlichen Pfiffen und Schreien. Ich musste gleich hinunter, um nachzusehen, was los war - in Wirklichkeit erhoffte ich mir nichts anderes, als dass mich irgendetwas aus meiner erneuten Einsamkeit reißen würde.
Die Straßen waren praktisch ausgestorben. Ich gelangte zum Spielfeld, indem ich an dem grünen Gestrüpp des Friedhofs vorbeilief. Hunderte von staubbedeckten, glühend heißen Autos standen kreuz und quer in der Hitze herum: Das zwischen den Dörfern ausgetragene Turnier hatte begonnen, aber die eigentliche Attraktivität dieser ganzen Menge war Nicolás, der zwar noch Junior war, aber bereits in der Mannschaft der Erwachsenen spielte - und wie er spielte! Ich schlüpfte durch das Gedränge und kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie er zu einem seiner kurzen, leichten Höhenflüge ansetzte und den Ball mühelos ins Netz köpfte. Während die anderen ringsum herumhüpften, sich umarmten und wahnsinnige Freudenschreie ausstießen, stockte mir, überwältigt
von solcher Bravour, der Atem, ebenso wie den Anhängern der gegnerischen Mannschaft. Kaum hatte der Schiedsrichter das Spiel abgepfiffen, wurde Nicolás im Triumph herumgetragen, und als er mich von seiner Höhe seiner Glorie bemerkte und mir zurief: » Hola, amigo «, hätte ich mich als noch größere Null gefühlt, hätte nicht hinter mir eine Stimme gesagt: »Mein Cousin, ein Freund von Nicolás - unglaublich. Endlich bist du zu etwas nütze!«
Es ist Ilde, die zweite der drei Erstgeborenen, die den Namen der Großmutter tragen. Und da sie von ihr auch den Charakter geerbt hat, ist sie die unangefochtene Anführerin jener Gruppe von Freundinnen, die uns jetzt, während sie mit mir spricht, umringen, kleine Schreie ausstoßen und mich in ihrer Begeisterung hin und her schubsen. Worum sie mich bitten, ist einfach: Angesichts der Tatsache, dass ich und Nicolás Freunde sind, soll ich ihn zu einer Party am nächsten Abend einladen. Allerdings habe ich mit Nicolás bisher kaum ein paar Worte gewechselt, und allein schon der Gedanke, ihn ansprechen zu müssen, verursacht mir Schwindelgefühle.
Natürlich suchte ich nach Ausflüchten, aber welche Ausflüchte konnte ich schon finden? Zumal ich angesichts der Blicke, die die Mädchen jetzt austauschten, weil ich plötzlich rot anlief, Angst bekam, dass auch sie sich meines Homo-Seins - um es mal so zu nennen - bewusst werden würden. Dies war es, was mich überzeugte, und nicht Ildes Drohung, der Großmutter zu erzählen, dass ich
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