Fesseln der Gewalt 1
hätte, jedoch hatte ich gleich zwei angenehme Platzhalter. Schnell schreibe ich meinem Gesprächspartner, dass ich gehen muss, und verfluche mich dafür, dass ich nicht zuhause am Computer sitze.
Man kann es sicher als eine Paranoia sehen, doch solche Seiten würde ich nie daheim aufrufen. Mein Angebot, das Gespräch am nächsten Tag fortzusetzen, wartet noch auf eine Antwort.
Leicht nervös warte ich und mein Blick geht abermals zu meinem Gegenüber. Ein Schauer überflutet meinen Körper, als ich seinen intensiven Blick wahrnehme. Ungeniert beobachtet und mustert er mich. Unruhig rutsche ich auf dem Stuhl herum und wundere mich, dass er sich nicht daran stört, dass ich es mitbekomme, wie er mich ansieht. Er nimmt die Tätigkeit an der Tastatur wieder auf und somit den Blick von mir.
Meiner wandert auch zurück auf den Bildschirm, der mir endlich eine Nachricht preisgibt, dass mein Gesprächspartner sich für den nächsten Tag zu einem Fortführen des Gesprächs bereit erklärt.
Gegen meine übliche Art kann ich nicht verhindern, dass ich meinem Gegenüber ein Lächeln schenke, was dieser hauchzart erwidert.
Nervös verbringe ich den nächsten Tag auf der Arbeit. Meine Konzentration ist nicht gerade die Beste. Zum Glück habe ich gute Kolleginnen, die ein Nachsehen mit mir haben und das erledigen, was mir entgeht.
Ich kann es kaum erwarten, dass die Uhr endlich vier zeigt. Dieses Mal sind alle Kinder frühzeitig abgeholt worden und ich ziehe mich rasch an.
Es ist sonst nicht meine Art, in eine solche Vorfreude über zwei unbekannte Menschen auszubrechen und doch, ich kann es nicht verhindern. Die braunen Augen meines Gegenübers von gestern wollen nicht mehr aus meinem Kopf weichen, und mein Gesprächspartner auf der Plattform hat auch irgendetwas in mir ausgelöst. Eine komische Kombination und doch sehr faszinierend.
Ich weiß nicht mal, auf was ich mich mehr freue: auf ein ausgelassenes Gespräch oder meinen Gegenüber, der hoffentlich auch anwesend sein wird.
Im Café angelangt gleitet mein Blick über die Besucher. Wahrhaftig ist er da, mit den braunen Augen, die mich an nasse Graberde erinnern. Irritiert über diesen Gedanken runzele ich die Stirn und nehme gegenüber von ihm Platz.
Ein feines Lächeln bekomme ich zur Begrüßung und presse ein: „Hallo!“ hervor.
„Guten Tag“, ist die Erwiderung und mein Körper wird von einem elektrisierenden Schauer überfallen. Was für eine Stimme, tief, rau und doch eine Spur Sanftheit mit sich führend.
Ich merke schon, es ist nicht mein Tag, was für Gedanken mir heute kommen. Somit lenke ich mich mit dem Anmelden an der Plattform ab. Ob ich ein Gespräch beginnen sollte? Die Blicke meines Gegenübers liegen auf mir, ich kann sie genau spüren …
Ehe ich mir weiter Gedanken machen kann, lenkt mich die Nachricht von Jack ab. Meine neue virtuelle Bekanntschaft ist schon online.
Wie am vorigen Tag vertiefen wir uns schnell in ein Gespräch. Die Sicherheit in der Anonymität des Internets lässt mich frei antworten. In dieser Welt kann ich sein und sagen, was ich möchte, ohne Befürchtungen, es ist befreiend.
So anregend, wie das Gespräch auch ist, gleiten meine Augen trotzdem immer wieder zu meinem Gegenüber. Es kommt einem Zwang gleich ihn beobachten zu müssen, selbst als er den Blick erwidert. Immer wieder schenken wir uns Aufmerksamkeit und meine Gedanken kreisen darum, wie ich ihn in ein Gespräch verwickeln kann.
*Hast du unerfüllte Wünsche?*, lese ich Jacks Frage und muss mir ein Lachen verkneifen.
*Hat die nicht jeder? In welchem Bereich?*
*Egal, sieh dich um und sage mir etwas.*
Jack hat eine eigene Art die Welt zu sehen, das kann ich schon jetzt sagen. Mein Blick schweift umher, entdeckt ein Bild von einem Pärchen.
*Survival im Wald, stockfinster und gefährlich.* , antworte ich und lächle. Den Gedanken hatte ich schön öfters, stelle es mir hart und doch prickelnd vor. Die Gefahr um mich herum und zu wissen, es kann einem keiner helfen.
Mein Blick wird gefangen von zwei tiefbraunen Augen: „Darf ich so forsch sein und dich auf ein Bier einladen?“, dringt die tiefe, raue Stimme an mein Ohr. Hat mein Gegenüber mich gemeint? Automatisch sehe ich mich um, doch sind nur wir in dieser Ecke. Ein kehliges, wenngleich leises Lachen vernehme ich als Nächstes. „Ich meine schon dich. Mein Name ist Jakob Steel“, mit diesen Worten erhebt er sich leicht und reicht mir die Hand.
Verblüfft
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