Fesseln der Sehnsucht
keinerlei Nachsicht … Diese Menschen begehen ein schändliches Verbrechen gegen die Menschenrechte …«
Lucy, die den Vortrag bereits unzählige Male gehört hatte, unterdrückte ein verräterisches Gähnen. Heimlich hob sie die Hand an den Mund und blinzelte gegen, ihre Müdigkeit an. Als ihr Blick erneut Heath streifte, waren seine blauen Augen auf sie gerichtet. Sie sah ihn unverwandt an und als seine Mundwinkel sich zum Anflug eines Lächelns hoben, lächelte auch sie. Mr. Emerson ergriff das Wort und schloss sich mit dunkel umwölkter Stirn den Ausführungen seines Vorredners an. Wie nicht anders zu erwarten, hielt sein Vortrag die Zuhörer in Bann. »Mit den Verfehlungen des Südens darf und kann keine Nachsicht geübt werden. Nicht, wenn wir die Ideale bewahren wollen, für die wir in diesen Krieg gezogen sind. Die Rebellen müssen in die Knie gezwungen, nicht aber mit Friedensverhandlungen belohnt werden, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Der Krieg ist kein Spiel, er muss ohne Erbarmen bis zum bitteren Ende geführt werden, wenn wir nicht Verrat an den tapferen Helden begehen wollen, die für unsere Sache gekämpft haben. Sie verdienen unsere moralische Unterstützung.«
»Ohne Erbarmen?«, warf Lucas Caldwell bescheiden ein. »Aber sollten wir nicht versuchen …«
»Der Krieg ist ein Läuterungsprozess für die Menschheit, durch ihn werden Fäulnis und Verderben ausgebrannt«, fuhr Emerson düster fort. »In mancher Hinsicht stellt der Krieg ein Segen für die Menschheit dar. Diese Überzeugung – und die Rechtschaffenheit unserer Sache – waren meine Beweggründe, warum ich unsere jungen Soldaten dazu ermutigt habe, zu den Fahnen zu eilen.«
Plötzlich meldete sich eine fremde Stimme in trügerisch ruhigem Tonfall. »Sie irren … Sir. Der Krieg raubt den Menschen … ihre Humanität und Menschenwürde Alle Köpfe drehten sich nach der Ecke um, wo Heath Rayne in aufreizend salopper Haltung im Stuhl lümmelte ein spöttisches Lächeln um die Mundwinkel. »Ein Mann wie Sie hat leicht reden«, fuhr er beinahe noch sanfter fort. »Ein Mann, der zu alt ist, um zur Waffe zu greifen, und dessen Sohn im Säuglingsalter ist, einem solchen Mann fällt es nicht schwer, junge Männer in den Kugelhagel und in die Schützengräben zu schicken und ihnen weiszumachen, alle Schwüre unter dem Sternenbanner seien heilig.« Nach anfänglich gelähmtem Entsetzen wurde ungehaltenes Murren laut. Lucy rang die Hände unter der Schürze und blickte verstört in Heath’ Richtung. Mitleid und Angst um ihn erfüllten sie. Sie ahnte, warum er nicht länger schweigen konnte, fürchtete aber, dass er sich mit seinen mutigen Worten großen Ärger eingehandelt hatte.
Niemand wagte es, Ralph Waldo Emerson, einem der angesehensten Bürger von Concord, zu widersprechen. Und niemand, schon gar nicht ein Südstaatler, durfte sich erdreisten, Emerson indirekt einen Feigling zu nennen.
Barmherziger Himmel, was hast du dir angetan?, jammerte sie im Stillen, wünschte die Zeit zurückdrehen und dem eigensinnigen Konföderierten den Mund verbieten zu können, ehe er diese verhängnisvollen Worte formuliert hatte.
»Der Krieg ist ein Prüfstein menschlicher Rechtschaffenheit«, fuhr der bleich gewordene Emerson in seinem Vortrag fort. »Der Krieg hat dem Süden eine Lehre erteilt. Mit der Kapitulation der Aufständischen hat der Norden seine moralische Überlegenheit bewiesen. Unser Sieg über das Unrecht rechtfertigt jedes Menschenopfer. Kein einziger unserer tapferer Helden ist umsonst gefallen.«
»Genau, Mr. Rayne«, mischte Daniel sich nun ein, dessen Schnurrbart leise vibrierte, während er seinen Einwurf machte. »Tapfere Männer mussten sterben wegen der Arroganz des Südens, die mit dem Abfall von, South Carolina begann und sich fortsetzte …«
»South Carolina sah sich zur Sezession gezwungen weil der Norden uns unhaltbare Bedingungen auferlegte, gegen die wir uns zur Wehr setzen mussten.«
»Wie gesagt«, schnarrte Daniel mit einem spöttischen Lächeln. »Die Arroganz des Südens. Tatsache ist, dass South Carolina die treibende Kraft der Sezession war und die anderen Staaten zur Abspaltung aufhetzte. Dabei musste den Konföderierten doch klar sein, welch Konsequenzen dieser Verrat haben würde. Und nun liegen unsere tapferen Soldaten aus dem Norden zu Tau senden in ihren Gräbern …«
»Und doppelt so viele tapfere Südstaatler«, kam die schnelle Entgegnung.
»Gräber ungebildeter Rebellen. Wie
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