Fesseln der Sehnsucht
Knistern der Flammen Warnungen zuschrien. Der Rauch war mittlerweile so stark geworden, dass Lucy zu ersticken drohte. Ein Mann, der einen schweren Lehnstuhl an ihr vorbeitrug, rempelte sie versehentlich an und sie taumelte gegen die Wand. Plötzlich löste sich ein brennender Balken von der Decke, verfehlte sie um Haaresbreite und krachte Funken sprühend vor ihr nieder. Die Decke drohte jeden Augenblick einzustürzen! Lucy wurde von lähmendem Entsetzen gepackt. Sie musste dieser Flammenhölle entkommen! Ängstlich raffte sie die Röcke, damit sie nicht Feuer fingen, und schob sich vorsichtig an den züngelnden Flammen vorbei. Ein derber Männerstiefel stieß den Balken wuchtig zur Seite. Lucy wurde so grob an den Schultern gepackt, dass sie die Kassette fallen ließ.
»Was, zum Teufel, haben Sie hier drin zu suchen?«, schrie eine heisere Männerstimme. Lucy blickte in Heath Raynes zornfunkelnde Augen. Sein gewaltsamer Zugriff und sein wildes Aussehen erschreckten sie so sehr, dass sie kein Wort hervorbrachte. Sein kupferfarbenes Gesicht war rußverschmiert und glänzte schweißnass, seine Augen waren vom beißenden Rauch gerötet. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, der nasse Stoff klebte an muskulösen Oberarmen. Das klaffende Hemd gab seinen breiten Brustkasten und den flachen, hart geriffelten Bauch frei. Er war so wütend, dass Lucy glaubte, er würde sie schlagen. »Machen Sie, dass Sie hier rauskommen.
Sofort!«, schnauzte er sie an. »Wieso ist Ihr Vater oder Ihr dämlicher Verlobter nicht in der Lage, auf Sie aufzupassen? Man sollte Ihnen den Hintern versohlen!«
»Ich bin nicht zum Spaß hier drin. Ich habe etwas Wichtiges geholt!«, fuhr Lucy ihn entrüstet an, entwand sich seinem groben Griff, bückte sich nach der Kassette und wurde von einem Hustenanfall geschüttelt.
Heath murmelte einen Fluch, nahm ihr den schweren Behälter ab, legte ihr einen Arm um die Mitte und schleppte sie halb tragend durch die Diele. Am Stock der Haustür leckten bereits gierige Flammen. Lucy hörte auf, sich zu wehren, als Heath sie mit seinem Körper schützend seitlich ins Freie trug. Ihre Wange streifte sein schweißnasses Haar. Sein Arm um ihre. Mitte hielt sie wie eine Eisenklammer fest. Angesichts seiner Furchtlosigkeit kam sie sich vor wie die Frauen, die sie verachtete, die sich beim Anblick eines starken Mannes schwach, hilflos und zerbrechlich gaben. Im Freien holte Lucy tief Luft und begann, sich gegen seinen Griff zu stemmen. Heath stellte sie ab, stützte sie, bis sie Halt gefunden hatte, und reichte ihr die Metallkassette, die sich schwerer anfühlte als zuvor.
»Erst drohen Sie zu ertrinken und dann kommen Sie beinahe in den Flammen um.« Heath drehte sie um und gab ihr einen leichten Stoß auf die Stufen zu, die zum Rasen führten. Seine Stimme klang nicht mehr so erzürnt wie vorhin. »Weiß Gott, in welche Notlage Sie als Nächstes geraten.«
»Ich wäre auch ohne Sie zurechtgekommen!«
»Den Teufel wären Sie! Halten Sie sich von dem Brand fern!«
Sie versagte sich eine Widerrede und starrte lediglich auf seine breitschultrige Gestalt, als er wieder im Haus verschwand. Mit schlotternden Knien stieg Lucy die Holzstufen hinab und überquerte den Rasen zu dem aufgestapelten Hausrat. Sie stellte die Kassette auf ein Sofa und sah zu, wie die Männer die letzten Gegenstände aus dem Haus trugen. Jetzt durfte sich niemand mehr in das Inferno wagen. Das Feuer hatte das Dachgeschoss zerstört und breitete sich nach unten aus. Die Deckenbalken und Holzvertäfelungen der Wände glühten bereits, das Haus war eine Todesfalle.
Lucy trat zu ihrem Vater, der neben den Emersons stand und gebannt in die Flammen starrte. Mr. Emerson befand sich in einem Zustand des Schocks, seine Augen wanderten leer und starr über die Flammen, die prasselnd aus Dach und Fenstern schlugen. Mitleid schnürte Lucy das Herz zu. Sie wandte den Blick, da sie das Leid des alten Mannes nicht zu ertragen vermochte. In einiger Entfernung nahm sie Daniels schlanke Gestalt wahr, der zusammen mit anderen Männern Decken über die geretteten Gegenstände breitete, um sie vor dem Löschwasser zu schützen.
Während der vergangenen Stunde hatte sie nicht eine Sekunde an Daniel gedacht oder sich Sorgen um sein Wohlergehen gemacht. Lucy biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe. Sobald der Aufruhr sich gelegt hatte, wollte sie sich um ihn kümmern.
»Mein Manuskript«, murmelte Emerson plötzlich tonlos. »Mein neues Manuskript. Es gibt
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