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Fesseln der Sehnsucht

Fesseln der Sehnsucht

Titel: Fesseln der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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gern Reden hielt, sowohl im Wohltätigkeitsverein als auch bei anderen gesellschaftlichen Anlässen. Einmal stürmte sie während einer Sitzung in den Rathaussaal und hielt eine hitzige Ansprache, um zu erreichen, dass auch Mädchen in höhere Klassen der städtischen Schule zugelassen werden. Wenn die Klassen nämlich voll sind, zwingt man die Mädchen, die Schule zu verlassen. Nur den Buben steht eine höhere Schulbildung offen. Ich glaube, Vater hatte seine hebe Not mit ihr.«
    »Auch das kann ich mir denken.«
    »Gibt es bei Ihnen in Virginia auch streitbare Frauen?«
    »Solche, die öffentliche Reden halten? Eigentlich nicht.«
    »Lebt Ihre Mutter noch?«
    »Nein. Sie starb, als ich noch ein Junge war.«
    Neugierig geworden, wollte Lucy mehr wissen.
    »Und Ihr Vater?«
    »Starb während des Krieges«, antwortete Heath knapp, er beantwortete nicht gern persönliche Fragen.
    »Haben Sie gar keine Familie?«
    »Eine Halbschwester, einen Halbbruder … und eine Stiefmutter, die genau dem Klischee der bösen Stiefmutter entspricht.«
    »Haben Sie überhaupt …«
    »Schauen Sie in den Himmel. Es regnet bald. Sie sollten sich beeilen, nach Hause zu kommen, sonst ist Ihr Hut ruiniert. Soll ich Sie fahren?«
    »Lieber nicht. Wegen der Leute.«
    »Ich verstehe. Sie müssen Daniels Befehle befolgen. Das hätte ich beinahe vergessen.«
    »Ich gehe gern zu Fuß«, versetzte Lucy schnippisch. »Ich habe es nicht weit.«
    Heath nahm ihre Hand, hob sie an die Lippen und hauchte einen zarten Kuss auf ihre Fingerspitzen. Lucy stand reglos, eine seltsame Benommenheit befiel sie bei der sanften Berührung. »Es war mir ein Vergnügen, Cinda«, murmelte er und entfernte sich in seinem aufreizend schlendernden Gang, als habe er alle Zeit der Welt.

Kapitel 4
    Die Kirchenglocken läuteten.
    Lucy fuhr hoch, warf die spitzenbesetzte Bettdecke zurück, sprang aus dem Bett, taumelte schlaftrunken zum offenen Fenster und starrte in die Nacht. Schwere Wolken hingen über der schlafenden Stadt und hüllten sie in einen feinen Nebelschleier ein. In der Ferne über den Baumwipfeln war ein schwacher Schimmer. Der dunkle Himmel färbte sich rosig und ging in der Gegend der Lexington Road in ein stumpfes Rot über.
    Rote Wolken, dachte Lucy erschrocken und ihre Augen, weiteten sich, als die Straße vor ihrem Haus sich mit hastenden Menschen, Equipagen, Pferden und Fuhrwerken füllte, die alle in Richtung des roten Scheins eilten. Der leichte Nachtwind trug feuchtschwüle Luft herüber, vermischt mit einem schwachen Brandgeruch. Lucy eilte zum Schrank und zerrte mit ungeschickten Fingern ein altes Kleid hervor. Wenn es irgendwo brannte, eilten sämtliche Bewohner der Stadt zu Hilfe. Auch Frauen und Kinder konnten sich bei der Bekämpfung der Flammen nützlich machen.
    Es blieb keine Zeit sich in das Korsett zu zwängen, das sie ohnehin beim Laufen behindert hätte. Lucy streifte das blaue Kleid über, knöpfte es hastig zu, befestigte das Haar mit einem Band im Nacken, schlüpfte in bequeme Schuhe und flog die Treppe hinunter.
    In der Diele war Lucas Caldwell damit beschäftigt ein langes Seil aufzurollen, das er in dem Eimer verstaute, den er aus seinen Tagen bei der freiwilligen Feuerwehr aufbewahrt hatte, lange vor Erfindung der Dampfmaschine, mit der heutzutage die Wasserpumpe betrieben wurde. Sein sonst so sorgsam gescheiteltes weißes Haar stand ihm wirr vom Kopf, sein weißer Schnurrbart war zerzaust.
    »Vater, ich komme mit!«, rief Lucy atemlos, deren Aufregung sich bei der ruhigen Bedächtigkeit ihres Vaters ein wenig legte, der in jeder Situation besonnen und umsichtig handelte, auch im Katastrophenfall.
    »Der Landauer der Hosmers wartet draußen. Wir fahren mit ihnen«, sagte er und klopfte ihr beschwichtigend auf die Schulter.
    »Vater, bitte sei vorsichtig«, flehte Lucy auf dem Weg zur Haustür. »Du übernimmst immer die gefährlichsten Arbeiten, statt sie den jüngeren zu überlassen. Denk bitte daran, du bist alles, was ich habe. Wenn dir etwas zustößt …«
    »Ich tu nur, was getan werden muss«, beruhigte er sie. »Keine Heldentaten. Aber ein Caldwell drückt sich nicht vor seiner Pflicht, Lucy.«
    »Ja, ich weiß«, antwortete sie mit einem ängstlichen Blick in sein faltiges Gesicht, auf dessen Stirn neuerdings: bräunliche Altersflecken zu sehen waren. Der Gedanke, es könnte ihm etwas zustoßen, war Lucy unerträglich.
    »Bitte sei vorsichtig«, wiederholte sie leise und eindringlich. Lucas nickte zerstreut und

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