Fesseln der Sehnsucht
morgen koche ich Kaffee. Es gehört zu meinen Aufgaben.«
Heath musste an sich halten, um sie nicht darauf aufmerksam zu machen, dass es wichtigere Aufgaben gab, die eine Ehefrau zu erfüllen habe. »Wie du willst. Mich stört es nicht, mir selber Kaffee aufzubrühen.«
»Du trinkst aus einem Becher«, fuhr sie nervös fort, trat an den Küchenschrank und öffnete mehrere Türen, bis sie das blau-weiße Porzellan fand. »Willst du nicht lieber eine Tasse?«
»Mir egal.«
Sie nahm Tasse und Untertasse für sich heraus, goss Kaffee ein und setzte sich an den Tisch.
»Gut geschlafen?«, fragte Heath.
Sie sah ihn scharf an, um herauszufinden, ob er sie verspottete. Sein Gesicht war ohne Ausdruck. »Ja. Ich war sehr müde.«
»Ich auch.«
Lucy trank ihren Kaffee, während Heath sie nachdenklich betrachtete. Sie spürte seinen Blick und es fiel ihr schwer, still zu sitzen. »Ich sehe mir heute das Haus genauer an«, meinte sie, um das Schweigen zu brechen. »Ich muss wissen, wo alles ist, besonders in der Küche wo Töpfe und Pfannen sind, die ich zum Kochen …«
»Das ist nicht nötig. Mrs. Flannery und ihre Tochter kümmern sich um den Haushalt. Wenn dir danach ist, kannst du gelegentlich kochen, aber ich habe dich nicht geheiratet um aus dir eine Haushälterin zu machen.«
Lucy sah ihn verwirrt an. Zum ersten Mal stellte sie sich die Frage, warum er sie eigentlich geheiratet hatte. Wenn er niemand brauchte, der Ihm den Haushalt führte … Hatte er sie nur aus Mitleid geheiratet? Dieser Gedanke hinterließ ihr einen bitteren Geschmack im Mund. »Aber womit soll ich mir die Zeit vertreiben?«
»Wie du gerne möchtest. Du kannst in die Stadt gehen, du kannst hier bleiben. Du kannst nichts und alles tun, wie es dir gefällt. Ich erwarte nicht, dass du dein Leben nach mir richtest da ich in den nächsten Monaten ohnehin viel unterwegs sein werde.«
»In Ordnung. Solange du rechtzeitig zum Abendessen zu Hause bist damit wir …«
»Offen gestanden, werden wir nicht häufig gemeinsam essen. Ich werde nicht zu bestimmten Zeiten nachh Hause kommen. Ich habe … geschäftlich zu tun, meist in Lowell und Boston.«
Geschäfte! Lucy kannte das Wort nur zu gut und verabscheute es zutiefst. Was für eine bequeme Ausrede für Männer, um alles zu erklären oder zu verheimlichen, was sie zu verbergen suchten. »Nur so kann man ein Geschäft erfolgreich führen«, pflegte ihr Vater zu sagen, wenn sie ihm vorwarf, halbe Nächte im Laden zu verbringen, statt mit ihr zusammen zu sein. ›Geschäftliche Gründe‹, ›geschäftliche Notwendigkeiten‹, ›geschäftliche Sorgen‹. Ihr Vater und Daniel, überhaupt jeder Mann, den sie kannte, nahm die geheimnisvolle Welt der Geschäfte als Vorwand für nicht eingehaltene Versprechungen, Verspätungen und männliche Gleichgültigkeit. Allem Anschein nach benutzte ihr Ehemann diese Ausflucht zu den gleichen Zwecken.
»Welche Art von Geschäfte?«, erkundigte sie sich argwöhnisch. »Geschäfte, die mit dem Verlagswesen zu tun haben. Irgendwelche Einwände?«, fragte Heath mit einem Anflug von Sarkasmus. Dazu wären ihr einige Antworten in den Sinn gekommen. Ja, ich habe Einwände … ich sehe dich zu selten … wir führen keine richtige Ehe … es kümmert dich nicht, was ich dabei empfinde … Keine einzige dieser Antworten wollte sie ihm geben.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie kühl.
Kapitel 6
Das Eheleben gewährte ihr mehr Freiheiten, als Lucy sich je hätte träumen lassen. Nie zuvor hatte sie so viel Geld und so viel Zeit zur freien Verfügung und so wenige Verpflichtungen. Ihr Ruf war durch ihre Vermählung mit Heath einigermaßen wieder hergestellt, wenn auch noch ein wenig angekratzt. Manche Leute rümpften nach wie vor die Nase, wenn sie Lucy begegneten. Mittlerweile gab es freilich kaum eine Person in Lucys Leben, um deren Meinung sie sich Kopfzerbrechen machte. Ihr Wohlstand und ihr Ehestatus brachte sie einem Personenkreis näher, der ihr früher fremd war. Sie verbrachte viel Zeit in der Stadt, schloss neue Freundschaften und vergnügte sich in einer Weise, die bei ihrem Vater und ihrem ehemaligen Freundeskreis Kopfschütteln hervorrief.
Mit ihrem Ehemann verbrachte sie die wenigste Zeit. Lucy sah Heath so selten, dass sie tagsüber gelegentlich sogar vergaß, dass sie verheiratet war. Nachts waren die Dinge ein wenig anders. Sie schliefen in einem Bett, ohne die Ehe vollzogen zu haben. Die Entfernung zwischen ihnen war so groß, als lebten
Weitere Kostenlose Bücher