Fesseln der Sehnsucht
gern zurückgenommen hätte. Blind vor Zorn hatte sie ihre Vorwürfe hinausgeschrien.
Ausgerechnet sie, die es verabscheute, andere zu verletzen, hatte sich in eine rachsüchtige Furie verwandelt. Ihr Stolz war aber auch tief verletzt von den hässlichen Worten, die Heath ihr an den Kopf geworfen hatte. Sein schlechtes Benehmen aber berechtigte sie nicht, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Lucy wünschte, Daniel nicht erwähnt zu haben. Natürlich waren ihre Empfindungen für ihn noch da. Eine solche Liebe starb nicht so schnell. Die zärtlichen Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit mit Daniel waren allzu frisch: wie sie miteinander gelacht und gescherzt hatten, ihre Spaziergänge am Flussufer, die Abendbrise durchzogen vom Duft der Wasserlilien; ihre zärtlichen Küsse und langen, romantischen Umarmungen. Sie war zwar mit einem anderen Mann verheiratet, doch es fiel ihr schwer, sich damit abzufinden, dass dies nun alles für immer verloren war. Andererseits wollte sie Heath nicht unglücklich machen, wollte ihm keine schlechte Frau sein. Aber er hatte eine teuflische Gabe, sie in maßlose Wut zu versetzen, zu der sie früher nicht fähig gewesen wäre.
Ob er noch böse mit ihr war? Ich will ihm nicht begegnen, dachte sie unglücklich. Aber nur ein Kind würde sich schmollend im Bett verkriechen. Sie hörte, wie er sich in der Küche zu schaffen machte, und musste sich aufraffen und nach unten gehen, auch wenn er ihr wieder abscheuliche Dinge an den Kopf werfen und sie mit eiskalten Augen durchbohren würde. Widerstrebend kroch sie aus dem Bett und suchte im Schrank nach ihrem Morgenmantel. Der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee zog ihr in die Nase. Heath hatte ihn selbst gemacht und das verschlimmerte ihr schlechtes Gewissen. Ich bin seine Ehefrau, dachte sie schuldbewusst. Es gehört zu meinen Pflichten.
Heath saß in der Küche, seine großen braunen Hände hielten einen Becher Kaffee. Den zerzausten Blondschopf gegen die hohe Stuhllehne gestützt, die Augen halb geschlossen, versuchte er die Benommenheit einer schlaflosen Nacht loszuwerden. Er hatte sich immer bemüht, die Wahrheit so zu akzeptieren, wie sie war. Ein Mann konnte sein Schicksal erst dann in die Hand nehmen, wenn er gelernt hatte, sich nicht selbst zu belügen. Nur im Krieg hatte er sich von seinen Idealen zu sehr blenden lassen, um die Wahrheit zu erkennen. Genau wie seine Landsleute war er zu eigensinnig und zu stur gewesen, um einzusehen, dass der Krieg verloren war. Erst als der Süden ausgeblutet, am Boden zerschmettert und tief gedemütigt war, erst als die bittere Enttäuschung ihn beinahe zerfressen hatte, musste er sich eingestehen, dass die Sache des Südens verloren war.
Nun eröffnete sich ihm eine neue Chance – eine Chance sich wieder am Leben zu erfreuen, sich um jemand zu kümmern – und er war im Begriff, diese Chance zu vertun. Lucy würde ihn bald hassen und das war das Letzte, was er wollte. Er trat auf die schmale Veranda, nahm einen tiefen Schluck von dem heißen, starken Kaffee und blickte die Straße entlang, die in die Stadt führte.
Es gab so viele Unterschiede zwischen ihnen und so wenig Gemeinsames. Sie hatte nie Not und Elend kennen gelernt; nicht die namenlose Angst, die einen Menschen zu ungeahntem Überlebenswillen anspornte. Sie wusste nicht was es bedeutete, alles zu haben und alles zu verlieren. Sie wusste nichts von dem Leid, das ihm aufgezwungen worden war und ihn zu dem gemacht hatte, der er heute war. Kein Wunder, dass sie ihn nicht verstand. Kein Wunder, dass er sie so wenig verstand. Und dennoch brachte er mehr Verständnis für sie auf, als Daniel Collier es je getan hatte. Er verstand sie so gut dass er sie verletzen konnte. Er musste sein Temperament zügeln. Und wenn er daran ersticken sollte, er würde sich beherrschen.
»Heath?«, hörte er ihre dünne Stimme aus der Küche. Er schlenderte zur Tür, lehnte die Schulter gegen den Rahmen und betrachtete sie schweigend.
Der Anblick ihres zerzausten Ehemanns übte eine seltsame Wirkung auf Lucy aus. Ihr Vater war stets förmlich gekleidet und frisch rasiert zum Frühstück erschienen. Heath aber stand unfrisiert vor ihr. Seine Wangen waren dunkel und unrasiert, er trug eine graue Hose und ein offenes Hemd. Sein leichtes Lächeln gab ihm den Anschein, entspannt und locker zu sein, doch in seinem Blick loderte eine seltsame Glut die ihr nicht entging.
»Du … hast schon Kaffee gemacht?«, fragte sie leise und wich seinem Blick aus. »Ab
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