Fesseln der Sehnsucht
sie auf verschiedenen Kontinenten.
Häufig kam Heath spät nachts nach Hause, wenn Lucy längst schlief. Gelegentlich drehte sie sich im Halbschlaf um, wenn sie spürte, dass er zu Bett ging. Danach lagen sie nebeneinander, ohne einander zu berühren, bis beide eingeschlafen waren, jeder sorgsam darauf bedacht, das Territorium des anderen nicht zu verletzen: Die linke Seite des Bettes gehörte ihr, die rechte Seite ihm. Und nicht einmal im Schlaf verletzte ein ausgestreckter Arm oder ein Bein die unsichtbare Grenze, die sie trennte. Trotz der fehlenden Nähe und mangelnden Gesprächsbereitschaft waren Lucy die Nächte in einem Bett mit Heath zur lieben Gewohnheit geworden, die sie nicht missen wollte.
Obwohl sie einschlummerte, wenn sie alleine war, schlief sie erst richtig tief, wenn er neben ihr lag. Es war seltsam tröstlich, ihn neben sich liegen zu wissen, seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge zu hören und die dunklen Umrisse seines Körpers zu ahnen, wenn sie nachts aufwachte.
An den seltenen Abenden, die er zu Hause verbrachte, zog Lucy sich frühzeitig zurück und drehte die Lampe zu einem schwachen Schein herunter. Wenn Heath sich zu Bett begab, hielt sie stets die Augen geschlossen, bis er sich entkleidet hatte und ins Bett geschlüpft war. Wenn er aber eingeschlafen war, öffnete sie zuweilen die Augen und ließ den Blick über ihn wandern. Sein kraftvoller, sehniger Körper war ihr mittlerweile vertraut, dennoch geriet sie bei seinem Anblick stets ein wenig in Atemnot. Er war ein ungewöhnlich gut aussehender Mann, der seit ihrer misslungenen Hochzeitsnacht keinerlei Anstalten gemacht hatte, sich ihr zu nähern.
Einige Wochen nach der Hochzeit wurde Lucy als Mitglied im Donnerstagsclub aufgenommen, einem Kreis gepflegter, wohlhabender Damen der feinen Gesellschaft von Concord, denen viel freie Zeit zur Verfügung stand.
Sie hatten Bedienstete, die ihren Haushalt versorgten, und erfolgreiche Ehemänner, die häufig geschäftlich unterwegs waren. Die Ehefrauen spendeten Geld für wohltätige Zwecke, veranstalteten Konzert und Theaterabende, um ihre Namen im Feuilleton der Lokalpresse gedruckt zu sehen, und kümmerten sich um andere kulturelle und gesellschaftliche Belange, für die auch Lucy sich begeisterte.
Sie wurde bereitwillig in dem erlauchten Kreis aufgenommen, da sie alle Voraussetzungen einer Mitgliedschaft erfüllte – sie war jung, hübsch, modebewusst und ebenso gelangweilt wie die anderen Damen, die ihre Ehemänner nur selten zu Gesicht bekamen und ihre reichlich verfügbare Zeit mit Einkäufen, verplauderten Teestunden und dem Studium von Modejournalen zubrachten. Die Zusammenkünfte mündeten unweigerlich in Gesellschaftsklatsch, Enthüllungen über intime und sehr persönliche Angelegenheiten, ein Zeitvertreib, der Lucy wegen der freimütigen Äußerungen über Liebhaber und heimliche Affären bisweilen befremdete und schockierte. Bei all dem leichtfertigen, oberflächlichen Gerede spürte Lucy die Einsamkeit der Frauen, die sich ebenso vernachlässigt fühlten wie sie. Dennoch bereitete ihr das Zusammensein mit ihren neuen Freundinnen großes Vergnügen, die Gefallen daran fanden, sich skandalös zu benehmen, intellektuelle Gespräche zu führen, die Salons mit ihrem spitzen Lachen und Tabaksrauch zu füllen. Die Damen rauchten Zigaretten in langen Spitzen aus Silber und Elfenbein, eine Mode, die von berühmten Schauspielerinnen und verruchten Gesellschaftsdamen in New York eingeführt worden war.
»Dixie«, wandte Olinda Morrison, die Gattin des hiesigen Bankiers, sich bei einem Treffen des Donnerstagsclubs an Lucy. »Sie müssen mir etwas verraten.«
»Dixie?«, wiederholte Lucy und zog die schön geschwungenen Brauen fragend hoch.
»Ja, so werde ich Sie nennen. Ich hatte ja bis gestern keine Ahnung, dass Sie mit einem Konföderierten verheiratet sind. Ich finde das köstlich.«
»Was würden Sie gerne wissen?« Lucy lächelte über die unverhohlene Neugier in Olindas samtschwarzen Augen.
Die schöne Olinda nahm nie ein Blatt vor den Mund. Nur eine Schönheit wie sie konnte es sich leisten, so unverschämt freimütig zu sprechen.
»Wie ist es mit ihm?«, wollte Olinda wissen.
»Meinen Sie …«
»Ich bitte Sie, spielen Sie nicht das Unschuldslamm … Sie wissen genau, was ich meine. Ist er charmant im Bett? Sind die Südstaatler so einfühlsam, wie man ihnen nachsagt, oder fällt er im entscheidenden Moment mit einem Rebellenschrei über Sie her?«
Der Kreis der
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