Fesseln der Sehnsucht
ihren Träumereien. »Heath schaute gestern Abend bei mir herein und sagte mir Bescheid. Aber … wahrscheinlich ist es für dich besser, einen Neuanfang zu machen.«
»Ja, vielleicht. Ich glaube nicht, dass die Leute hier jemals meine Schande vergessen werden. Concordianer haben ein gutes Gedächtnis, nicht wahr?« Sie warf ihm ein flüchtiges Lächeln über die Schulter zu. »Stell dir vor, ich gehe in fünfzig Jahren die Hauptstraße entlang und hinter meinem Rücken tuscheln die Leute: ›Das ist Lucy Rayne. Weißt du noch, welchen Skandal sie achtundsechzig hervorgerufen hat?‹ Wenigstens bin ich dann alt genug, um meinen schlechten Ruf genießen zu können.«
»Es schickt sich nicht, über so etwas zu scherzen.«
»Heath sagt, ich müsse lernen, über mich selbst zu lachen.«
»Ich habe dich erzogen, zurückhaltend und ernsthaft zu sein …«
»Du hast mich auch dazu erzogen, meinem Ehemann eine gehorsame Frau zu sein.« Während sie zwei Tassen und Untertassen aus dem Schrank holte, dachte sie, es wäre vielleicht weniger schlimm, Concord den Rücken zu kehren, als sie zunächst befürchtet hatte. Wenn sie es sich recht überlegte, war sie gar nicht mehr so sicher, ob sie den Wunsch hatte, ihr ganzes Leben in dieser Stadt zu verbringen.
»Lucy«, wandte ihr Vater stirnrunzelnd ein, »ich habe mich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, dich anständig zu erziehen, und habe nicht erwartet, dass du alle Prinzipien über Bord wirfst, wenn du diesen Mann heiratest … Ich hoffe, er behandelt dich gut, obwohl er dich von zu Hause fortholt, wo du hingehörst …«
»Er ist gut zu mir«, verteidigte sie ihren Gatten. »Er behandelt mich nicht schlecht. Ich fürchte mich zwar ein wenig davor, von hier wegzugehen, aber ich habe ihn nun mal geheiratet. Ich gehöre zu ihm und gehe mit ihm, wohin er auch geht.« Lucy plapperte nicht einfach leere Worte heraus, sie meinte durchaus ernst, was sie sagte.
Lucas schüttelte seufzend den Kopf. »Ich kann es kaum glauben, dass du fortgehst. Ich dachte immer, du bleibst in Concord.« Und mit einem vorwurfsvollen Unterton fügte er hinzu: »Ich dachte immer, du und Daniel …«
»Das dachte ich auch«, unterbrach Lucy ihn. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie Kaffee einschenkte. Der Tadel ihres Vaters schmerzte immer noch. Er sah in ihrem Treuebruch an Daniel, auch einen Verrat an seiner Person, da sie gegen die Wertvorstellungen verstoßen hatte, die er ihr mühevoll einzuprägen versucht hatte. Lucy fragte sich, ob er ihr je verzeihen könnte. Sie befürchtete, er würde es nie wirklich verwinden, dass sie seinen Namen und sein Ansehen beschmutzt hatte, worauf er so großen Wert legte. »Vielleicht ist es besser so«, meinte sie leise.
»Besser? Du wirst mir doch nicht einreden wollen, statt in die Familie Collier eingeheiratet zu haben, sei es besser, einen … einen …«
»Es ist sinnlos zu grübeln, was hätte sein können. Wieso redest du jetzt schlecht über Heath? Seine Vergangenheit war dir doch unwichtig, als er dich von meiner Anwesenheit befreite …«
»Ich habe dir nie gestattet, mich in dieser Form zurechtzuweisen«, schalt Lucas. »Ob verheiratet oder nicht, ich dulde solche Reden auch jetzt nicht.«
»Tut mir Leid.« Lucy blickte ihm furchtlos in die Augen. »Und ich dulde keine Kritik an Heath.«
»Ich habe nichts gegen ihn gesagt.«
»Du unterstellst, er stehe eine Stufe tiefer als Daniel… was einfach nicht stimmt. Ehrlich gestanden, möchte ich nicht für noch so viel Geld mit Sally tauschen und Daniel zum Ehemann und Abigail zur Schwägerin haben. Ich wäre tief unglücklich[ Daniel hat mich nie verstanden und er würde nie …«
»Es ist unwichtig«, fiel Lucas ihr ins Wort und blickte düster in seine Kaffeetasse. Er hätte ihr gern eine Moralpredigt gehalten, entschied sich aber dagegen. »Dazu könnte ich allerhand sagen, aber es wäre ohnehin sinnlos.«
»Wie du meinst, Vater«, antwortete Lucy mit fester Stimme. »Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt müssen wir zu unseren Entscheidungen stehen.« Mit Hilfe von Mrs. Flannery und ihrer Tochter durchstöberte Lucy zwei Tage das Haus, packte Kleider, Wäsche, Geschirr und andere Dinge ein, um ihr neues Heim auf Beacon Hill wohnlich zu gestalten. Der Großteil des Mobiliars wurde zurückgelassen und sollte mit dem Haus verkauft werden. Lucas half beim Packen der schweren Gegenstände und ließ den Gemischtwarenladen in der Obhut eines neuen Angestellten, um Lucy
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