Fesseln der Sehnsucht
ich vorhin gesagt habe … Mrs. Rayne.«
Nein, Lucy hatte es nicht vergessen und ihr Zorn flammte wieder auf angesichts dessen, was er von ihr verlangte.
Und dann begann ein Gedanke Form anzunehmen und ein Lächeln erhellte ihre Gesichtszüge. Sie konnte die Situation zu ihrem Vorteil nutzen. Wenn sie gezwungen war, nach Boston zu ziehen, würde sie das Beste daraus machen. Sie würde einwilligen und kein weiteres Wort des Protests darüber verlieren. Heath erwartete, dass sie sich murrend in ihr Schicksal fügte. Sie aber wollte ihn verblüffen und ihre Rolle perfekt spielen. Er wünschte sich eine liebenswürdige, sanfte und gehorsame Ehefrau. Einverstanden, sie würde zuckersüß und duldsam sein, eine wahre Heilige. Heath würde aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Und schließlich würde sie ihn um den Finger wickeln und dann würde sie den Spieß umdrehen und ihn nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Dieser Gedanke war Balsam für ihren verwundeten Stolz und erfüllte sie mit Genugtuung, bis seine zärtlichen Hände und Lippen all ihr Denken ausschalteten.
Ungeduldiges Pochen an einer Tür und eine Stimme, die mit lästiger Hartnäckigkeit ihren Namen rief, holten sie aus tiefem Vergessen. »Lucy … Lucy? … Lucy!«
»Heath«, murmelte sie schlaftrunken und streckte den Arm nach ihm aus. »Geh zur Tür … und sag dem lästigen Besucher, er soll …« Sie stockte, als ihre Finger ins Leere tasteten. Heath war fort.
»Lucy!«, dröhnte es von draußen herauf und sie erkannte die Stimme ihres Vaters. Seufzend kroch sie aus dem Bett und tappte zum offenen Fenster. ja, der morgendliche Besucher war tatsächlich ihr Vater. Sein schlohweißes Haar leuchtete in der Sonne des frischen Herbsttages. Der kühle Wind trieb welke Blätter tanzend vor sich her. Fröstelnd trat Lucy an den Schrank, nahm einen warmen Morgenmantel vom Bügel und ging auf nackten Füßen nach unten.
Als sie die Haustür öffnete, wurde sie von einem strafenden Blick empfangen. Lucas musterte sie von Kopf bis Fuß und schnalzte beim Anblick seiner Tochter missbilligend mit der Zunge.
Auch ohne in den Spiegel zu schauen, wusste Lucy, wie sie aussah. Ihre Augen waren von der schlaflosen Nacht verquollen, das Haar hing ihr wild zerzaust um die Schultern, ihre Lippen fühlten sich geschwollen an. Sie sah aus wie eine Frau, die die Nacht in den Armen eines feurigen Liebhabers verbracht hatte. An den intimsten Körperteilen verspürte sie ein Ziehen und Brennen, sie fühlte sich schlapp und müde – und rundum zufrieden. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, ein geheimnisvolles Lächeln, das sie niemandem hätte erklären können, am allerwenigsten sich selbst.
»Vater, bitte … ich bin gerade aufgestanden und habe noch nicht mal Kaffee getrunken.«
»Es ist elf Uhr und du stehst jetzt erst auf? Du hast doch früher nie so lange geschlafen, es sei denn, du warst krank.«
»Ich bin gestern spät ins Bett gekommen«, erklärte Lucy auf dem Weg zur Küche und rieb sich gähnend die Augen. Sie hatte kaum mehr als drei Stunden Schlaf bekommen. Heath war unersättlich gewesen. »Setz dich, ich mache Kaffee«, sagte sie über die Schulter. »Möchtest du auch eine Tasse?«
»Ja gern.« Ihr Vater setzte sich an den Küchentisch, zwirbelte seinen Schnauzbart und sah ihr zu. »Wie ich höre, besorgen dir zwei Frauen den Haushalt.« In seiner Stimme schwang deutliche Kritik. »Nur gut dass du dich noch in der Küche zurechtfindest.«
Lucy hatte ihm den Rücken gekehrt und versuchte, sich das Haar glatt zu streichen. »Sie kommen erst nachmittags.
Bist du mit der Frau zufrieden, die dir den Haushalt jetzt führt?«
»Sie hält einigermaßen Ordnung, aber sie kocht nicht so gut wie du.«
»Vielen Dank.« Lucy schmunzelte über das mürrische Lob. Als sie Wasser aufsetzte, bemerkte sie einen winzigen roten Fleck an der Innenseite ihrer Armbeuge – ein Knutschfleck. Sie hob die Hände an den Hals, wo sie noch mehr verräterische Flecken vermutete. Ein Bild schoss ihr durch den Kopf: Heath, der den Kopf über ihren Körper geneigt hielt und sie an einer sehr intimen Stelle küsste. Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen und in den Leib schoss. Wenn er heute Morgen nicht so zeitig aufgestanden wäre, hätte er sie vielleicht noch einmal in die Arme genommen, träge gelächelt und ihr etwas Schamloses über die letzte Nacht ins Ohr geflüstert.
»Eine Schande, dass du aus Concord wegziehst«, holte die Stimme ihres Vaters sie aus
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