Fesseln der Sehnsucht
hatte.«
»Kein Grund, dich einer solchen Redeweise zu bedienen«, schalt sie.
»Ich dachte, er begreift, was ich im Sinn habe. Aber heute wurde mir klar, dass ich ihn völlig falsch eingeschätzt habe. Nach Monaten gemeinsamer Arbeit, in denen wir das gleiche Ziel verfolgten, stand er heute in meinem Büro und redete wie ein Fremder – mach auf, sie bringt den Whiskey.«
»Würdest du bitte etwas höflicher sein?« Er starrte sie aus harten blauen Augen an. Seufzend ging Lucy zur Tür.
»Danke, Bess.«
»Mrs. Rayne …«, flüsterte das Mädchen und warf ängstliche Blicke auf Heath’ hoch gewachsene Gestalt, der wie ein Tiger im Käfig hin und her wanderte. »Ist alles in Ordnung? Soll ich …«
»Keine Sorge, Bess«, beruhigte Lucy das Mädchen, setzte ein beschwichtigendes Lächeln auf und nahm ihr das Silbertablett ab. »Machen Sie mit der Weihnachtsdekoration weiter. Mr. Rayne und ich haben etwas zu besprechen.« Bess nickte schüchtern. Lucy stieß die Tür mit dem Absatz zu und stellte das Tablett auf den Frisiertisch. »Bess ist erst seit einer Woche bei uns, Heath. Du machst ihr Angst mit deiner schlechten Laune. Bitte nimm dich zusammen …«
»Sie soll sich gefälligst daran gewöhnen oder gehen.« Heath goss sich ein halbes Glas Whiskey ein und nahm einen tiefen Schluck.
»Was hat Damon denn verbrochen, dass du so wütend bist?«
»Damon kümmert sich einen Dreck um die Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben. Für ihn ist alles nur ein geistreiches Spiel. Er hört sich ein Problem an, wägt das Für und Wider ab und ergreift dann die Partei, welche die meiste Stimmen hat. Richtig oder Falsch ist für ihn nur eine mathematische Gleichung. So kann ich nicht arbeiten, verdammt noch mal!«
»Du irrst dich mit Sicherheit. Er ist rechtschaffen und ehrenhaft …«
»Zur Hölle mit ihm!« Heath leerte das Glas und goss nach. Lucy hatte ihn noch nie so viel in so kurzer Zeit trinken sehen.
»Worüber habt ihr gestritten?«
Plötzlich schien jeglicher Zorn und Kampfgeist von ihm gewichen zu sein. Resigniert schüttelte er den Kopf und nahm den nächsten tiefen Schluck. Lucy setzte sich schweigend auf die Bettkante und sah zu, wie er das zweite Glas leerte. Er quälte sich. Und sie konnte ihm nicht helfen, wenn er nicht bereit war, sich von ihr helfen zu lassen.
Bitte mich, dich in die Arme zu nehmen. Sie sind für dich da. Hier ist mein Herz … nimm es dir.
Heath stand schweigend am Fenster, in seine selbst auferlegte Isolation versunken. Er holte tief Luft, schüttelte den Kopf und zuckte hilflos mit den Achseln. »Heute …«, begann er, doch die Worte wollten ihm nicht über die Lippen. Er trat wieder an den Frisiertisch und griff nach der Flasche. Doch Lucy war vor ihm da und legte die Finger auf seine Hand.
»Trink nicht noch mehr«, sagte sie und sah zu ihm auf. Etwas in ihren Augen bewegte ihn dazu, die Flasche loszulassen. Langsam ließ er die Hand sinken und trat wieder ans Fenster. Sein Kummer lag Lucy schwer auf der Seele. »Was ist heute geschehen?«
»Schlechte Nachrichten.«
»Wegen der Reconstruction?« Sie konnte sich kein anderes Thema denken, das ihm so nahe ging.
»Sonst noch?«
»Heath, lass mich nicht raten. Sag es mir.«
»Wir hatten endlich Fortschritte gemacht. Die Regierung hörte allmählich auf, den Süden unter Druck zu setzen.
Das fing mit Georgia an …«
»Ja«, beeilte sie sich, das eintretende Schweigen auszufüllen und ihm das Weiterreden leichter zu machen.
»Georgia und einige andere Südstaaten wurden wieder zum Kongress zugelassen.«
»Und die Militärherrschaft wurde aufgehoben. Endlich. Ich war der Meinung, die restlichen Südstaaten würden bald folgen. Dann wäre der Krieg erst wirklich vorbei. Keine Soldaten mehr auf den Straßen. Keine Willkür mehr und keine Militärverwaltung … und keine Kriegsgewinnler. Wir würden unser Land wieder zurückbekommen. Wir würden unsere Rechte als Staatsbürger wieder erhalten … Rechte, auf die wir Anspruch haben.« Seufzend lehnte Heath die Stirn an den Fensterrahmen.
»Das wird jetzt auch alles eintreffen, nachdem Georgia wieder frei bestimmen kann.«
»Nein«, antwortete er heiser. »Heute entließ Georgia alle Schwarzen aus der Legislative. Die Regierung betrachtet dies als offenen Akt der Rebellion.«
»Aber Heath … o nein.« Lucy starrte ihn fassungslos an. »Das wird furchtbare Konsequenzen haben …«
»Das hat es bereits. Georgia wurde erneut aus dem Kongress geworfen und
Weitere Kostenlose Bücher