Fesseln der Sünde
sie in die Arme und drehte sie von dem schwarzen Abgrund weg. Seine zitternden Arme legten sich mit einer Verzweiflung um ihren weichen Körper, die er sich erst jetzt einzugestehen bereit war.
Sie ist hier. Sie ist unverletzt. Lieber Gott, ich danke dir und all deinen Engeln.
Die niederschmetternde Möglichkeit, sie vielleicht nie wiederzusehen, hatte ihn in der vergangenen, kalten Nacht gequält. Diese Aussicht war für ihn noch schmerzlicher als Huberts Schläge und Felix’ kindischer Spott gewesen. Und auch noch schlimmer als die ständige Angst, die Dämonen könnten in der nasskalten Dunkelheit auftauchen, um wieder Besitz von ihm zu ergreifen. Sein quälender Kummer führte sein Vorhaben, Charis wegzuschicken, obwohl es nur zu ihrem Besten wäre, ad absurdum.
»O Liebste, meine Liebste«, flüsterte er und vergrub das Gesicht in ihrem dichten, seidigen Haar. Er holte schaudernd Luft und atmete ihren Duft ein, der warm war und nach Leben roch. Sie umklammerte seinen Rücken, als wollte sie ihn nie wieder gehen lassen, und zitterte in seinen Armen.
In dem glücklichen Bewusstsein, dass sie beide das Drama überstanden hatten, dass sie lebten und zusammen waren, hielt er sie für einen sehr langen Moment fest. Riesige Erleichterung fegte seine Wut darüber hinweg, dass sie sich in Gefahr begeben hatte. Er hätte wissen müssen, dass sie es nie anderen überlassen würde, ihn zu retten. Nicht seine mutige Charis.
»Du bist in Sicherheit«, sagte sie mit erstickter Stimme an seiner Brust. »Du bist in Sicherheit und dir … dir geht es gut. O Gideon, ich hatte solche Angst.« Sie beendete ihren Satz mit einem Schluchzen und presste ihr erhitztes Gesicht an seine Brust, über sein wild pochendes Herz.
Er zwang sich, seinen eisernen Griff zu lockern. Die Realität drang langsam in seinen vernebelten Verstand vor, und er begriff, dass die Bedrohung vorüber war. Er löste sich von ihr, sodass er sie ansehen konnte. Selbst in dem schummrigen Licht, das vom Mineneingang in den Tunnel drang, war in dem trüben Braun ihrer Augen und den dunklen Ringen darunter die Anspannung zu sehen, unter der sie gestanden hatte. Doch ihr Gesicht leuchtete vor Erleichterung und Glück. Und Liebe.
»Liebling …« Ihr fehlten die Worte, da diese überwältigende Liebe in ihr aufstieg, die genauso wenig aufzuhalten war wie die Flut in Penrhyn Cove. »Weinst du wegen Felix?«
»Nein.« Dann heftiger. »Nein! Was ihm zugestoßen ist, ist furchtbar. Doch ich weine, weil … weil wir endlich frei sind.«
Er sah zu ihr hinunter und lächelte, zuckte dann aber zusammen, da seine aufgesprungenen Lippen ihn dabei schmerzten. »Tränen des Glücks?«
Sie nickte ihm heftig zu. »Tränen des Glücks.« Ihre Augen wurden dunkel vor Mitleid, als sie die Schramme an seinem Mund sah. »Sie haben dich verletzt. Das tut mir leid.«
»Es ist nichts.« Es war wahrlich nichts. Er würde tausendfache Prügel über sich ergehen lassen, nur um sie glücklich in seinen Armen halten zu können. Er drückte ihre zitternde Hand an seine Wange. Das Atmen fiel ihm mit jeder Minute leichter. Die Gefahr war vorüber. Er konnte es kaum glauben.
Er hörte Schritte, die sich näherten, schaute hoch und sah Akash mit einer Fackel in der Hand den Tunnel heruntergehen. Neben ihm trug Tulliver die Laterne vom Lager der Brüder. Die beiden zusätzlichen Lichter waren angenehm, doch bezweifelte Gideon, dass sie stark genug waren, um damit bis auf den Grund des Schachts sehen zu können. Die bedenkliche Stille hinter ihm bestätigte seine sofortige Vermutung, dass Felix bei dem Sturz ums Leben gekommen war.
»Hast du gehört, was passiert ist?«, fragte Gideon.
»Ja. Kann er eventuell überlebt haben?« Akash hob die Fackel in Gideons Richtung, um nachzusehen, wie es ihm ging.
»Ich glaube kaum. Aber wir müssen ihn herausholen. Tulliver, kannst du ein paar Männer zusammentrommeln, um hinunterzuklettern? Ich denke, einer von ihnen hat bestimmt ein Seil mitgebracht. Falls nicht, die Farrells hatten welche.« Seine Arme schlossen sich fester um Charis. Er konnte sie noch nicht loslassen, hätte er sie doch beinahe verloren. Außerdem zitterte sie immer noch vor Angst.
»Jawohl, Sir.« Tulliver warf Gideon und Charis einen rätselhaften Blick zu und machte sich dann wieder auf den Weg nach draußen.
Gideon blickte über Charis’ zerzausten Kopf hinüber zu Akash. Überwältigende Dankbarkeit stieg in ihm hoch. Wie konnte er diesem Mann nur für alles danken, was
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