Fesseln der Unvergaenglichkeit
lag es nun an ihm, ebenfalls eine Lix zu heiraten. Helena würde die Macht der Familie in der Zukunft sichern. Eine Woge Hass wallte auf, weil Zakhar nicht bereits die Verpflichtung übernommen und eine Lix geheiratet hatte. Nein, er hatte sich das Recht herausgenommen, sein Herz entscheiden zu lassen. Warum stand ihm nicht die gleiche Entscheidungsfreiheit zu? Hatte Vater vielleicht mal daran gedacht, welche Bürde er seinem Sohn auferlegte? Seine Finger versteiften sich wie von allein und ballten sich einen Atemzug darauf zu Fäusten. »Ich kann Helena nicht heiraten!« Leonardo schleuderte Zakhar die Worte ins Gesicht. Noch nie war ihm eine Aussage schwerer über die Lippen gekommen. Er liebte Vater und er achtete ihn auch. Nicht erst, seit Zakhar ihn als kleinen Jungen an die Hand genommen und in das Leben eines Vampirs eingeführt hatte, bewunderte er ihn. Leonardos Gewissen leckte wie Feuerzungen über sein Innerstes. Schon der Gedanke, Vater seine Schuld zu gestehen, überschwemmte ihn mit Selbsthass.
»Es gibt, soviel ich weiß, keinen plausiblen Grund, diese Heirat nicht einzugehen.« Zakhars Stimme zitterte, weil er die Worte zornig hervorstieß.
Leonardo presste die Kiefer zusammen. Er durfte den Grund seiner Verweigerung nicht nennen. Noch nicht! Nicht, bevor er jede kleinste Möglichkeit ausgeschöpft hatte, sein Schicksal zu ändern. Sein Blick fiel auf den Lichtschein, der Zakhar umgab. Nicht zum ersten Mal verfluchte Leonardo seine seltene Begabung, Seelen zu sehen. Die farbigen Muster, die den gebräunten Körper umspielten, waren grau und flackrig geworden. Ein Zeichen, dass Vater mehr litt, als er zugeben wollte. Leonardos Herz zog sich mit einem stechenden Schmerz zusammen.
Er hatte keine Wahl.
Der Fluch, der auf ihm lag, ließ sich durch nichts aufheben und doch … Es musste einen Ausweg geben.
Seine Muskeln spannten sich an, das uralte Erbe der Visconti schoss durch sein Blut. Der Kampfgeist seiner Ahnen lebte auf. Er streckte sich und schüttelte langsam den Kopf.
Vater sah ihn entsetzt an. »Du weißt, dass deine Weigerung der Familie alle Kraft entziehen wird.«
Leonardo entfuhr ein tiefer, grollender Urlaut. Alles in ihm wehrte sich gegen die grausame Wahrheit. Er musste hier raus. Einen Weg finden, um das Ganze ungeschehen zu machen.
Wie ein gefangenes Tier fixierte er die Ausgangstür, aber Zakhar reagierte blitzschnell und verstellte ihm den Weg.
Schon viele Vampire und andere Gestalten hatten die leidvolle Erfahrung gemacht, dass Vater trotz seiner mangelnden Größe beinahe unschlagbar war. So sehr Leonardo seine Gabe verfluchte, barg sie den Vorteil, dass er am Zustand der Seele erkannte, wann sich Zakhars Wachsamkeit verminderte.
Bedächtig wich Leonardo einen Schritt zurück. Er verhielt sich ruhig. Er wusste durch jahrelange Übung, dass sich seine Anspannung in keinster Weise in seinem Ausdruck oder seiner Körperhaltung widerspiegelte. Äußerlich gelassen beobachtete er die farbigen Lichtspiele, die Zakhar wie feine Spinnweben umtänzelten.
»Du wirst nicht einfach davonlaufen, sondern dich deiner Pflicht stellen.« Zakhars Stimme sank zu einem tiefen Knurren herab. Ein menschliches Ohr hätte daraus keinen Satz mehr verstehen können.
»Nein. Dieses Mal nicht, Vater. Ich werde einen anderen Weg gehen.«
Ein Flackern. Beim ersten Schwinden der energetischen Muster stürzte Leonardo an Zakhar vorbei und war aus der Tür hinaus, ehe das wütende Schnauben an seine Ohren drang. Das resignierte Gesicht seines Vaters begleitete ihn in Gedanken.
»Ich werde eine Lösung finden, das schwöre ich.« Vater würde die Aussage noch hören, obwohl sich Leonardo mittlerweile meterweit von der Bibliothek entfernt hatte. Wenn ihm doch nur so zuversichtlich zumute wäre, wie er die Worte ausgestoßen hatte.
Leonardo hastete drei Häuserzeilen stadteinwärts. Eilig stieg er die Steintreppen hoch und betrat die hohe Halle der St. Patricks Kathedrale, die er seit seiner Kindheit jeden Sonntag besucht hatte.
Er liebte das halb dunkle Licht, das durch die farbigen Fenster in einem sanften Gelbton leuchtete, ihn beruhigend umhüllte.
Leise Stimmen murmelten einen rhythmischen Singsang. Hier würde ihn Vater, auch wenn er ihm folgte, in Ruhe lassen. Für die Familie Visconti war die Kirche der Ort, um ihre Seele mit Gott zu vereinen. Dieses Bedürfnis würde Zakhar ohne Kommentar respektieren.
Der vertraute Duft von Weihrauch empfing Leonardo sonst wie eine Liebkosung, heute
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