Fesselnde Entscheidung (German Edition)
Erzählungen ihres Vaters anfangs auf der Intensivstation noch besucht. Bis die Ermittlungen fortgeschritten waren und er wusste, warum auf sie geschossen worden war. Dann war er nicht mehr gekommen.
Auch er soll da gewesen sein, aber Elisa wollte ihn nicht sehen. Konnte ihn nicht sehen. Zu viel war passiert.
*
Nach fast neun Wochen wurde Elisa schließlich wieder auf die normale Station verlegt.
Die Ärzte prophezeiten Elisa einen langen schmerzhaften Weg zurück ins Leben. Nicht ohne Folgeschäden. Im besten Fall würde sie eine lebenslange Kurzatmigkeit nachbehalten - von den seelischen Folgen ganz abgesehen. Erst mal müsste sie wieder zu Kräften kommen, ihre Muskeln langsam durch krankengymnastische Übungen wieder aufbauen, dann erst würden irgendwann die eigentlichen Reha-Maßnahmen beginnen können.
Bis sie ein einigermaßen normales Leben wieder führen könnte, würden viele Monate vergehen.
17. Kapitel
Schwester Sabine hatte sich rührend um Elisa gekümmert. Nachdem sie gehört hatte, dass ihr Mann sie heute endlich besuchen kommen würde, hatte sie liebevoll versucht, Elisa einigermaßen vorzeigbar herzurichten. Seit neun Wochen hatte Elisa das erste Mal geduscht – beziehungsweise auf einem Stuhl gesessen und sich abduschen lassen. Zuvor war sie immer nur von den Pflegern mit einem chemischen Reinigungsschaum abgewaschen worden.
Elisa hatte die Wasserstrahlen auf ihrem Körper genossen. Es war für sie ein unbeschreibliches Gefühl gewesen – sie fühlte sich wie neugeboren. Zuvor hatte Schwester Sabine ihr den Blasenkatheter mit den Worten „den brauchen wir jetzt nicht mehr“ gezogen und ihr angekündigt, dass sie zunächst eine Windel tragen müsste, da sich ihre Harnröhre und der Schließmuskel erst wieder an die neue Situation gewöhnen müssten.
Auf der Intensivstation hatte man Elisas Haare aus praktischen Gründen einfach abgeschnitten. Ihre Haare am Hinterknopf waren ohnehin abrasiert worden, um ihre große Platzwunde mit zahlreichen Stichen zu nähen. Ihre Hochsteckfrisur hatte damals Schlimmeres verhindert.
Schwester Sabine hatte den Versuch gewagt, aus den traurigen kurzen Haarresten irgendwie eine Frisur zu zaubern. Das Ergebnis war ein unprofessioneller fransiger Kurzhaarschnitt. Auch wenn Elisa nicht wirklich glücklich war und ihre langen schwarzen Haare vermisste, war sie Schwester Sabine sehr dankbar für ihre Mühe. Sie hatte Elisa nicht als Ehebrecherin vorverurteilt.
Zuletzt hatte sie Elisa angezogen, ihr in das hinten offene Patientenhemd geholfen, sie in den Rollstuhl verfrachtet und sie in mehrere Decken gehüllt.
Nun fühlte Elisa sich gewappnet, das erste Mal seit dem Angriff ihrem Mann gegenüber zu treten.
Während sie auf ihn wartete, merkte sie ihre Anspannung, sie biss sich immer wieder auf die Lippe und pulte an ihren Fingern herum.
Dann war er da. Gut sah er aus. Seine dunkelblonden Haare trug er kürzer als sonst. Er wirkte nervös.
„Hallo Elisa“, sagte er schlicht als er das Krankenzimmer betrat.
„Hallo Basti“, antwortete sie und blickte ihm erwartungsvoll in die Augen.
„Äh, … wollen wir in den Park? Also ich schieb dich“, fragte er nachdem er einen kurzen Augenblick unschlüssig vor ihr stand.
Sie nickte zaghaft und ließ sich von ihm den Krankenhausflur entlang schieben. Elisa blickte neugierig nach links und rechts, sah zum ersten Mal ihre nähere Umgebung, in der sie sich seit Wochen befand.
Keiner sagte ein Wort, Elisas Anspannung wurde immer größer. Was wusste Basti? Alles? Davon war auszugehen. Wusste er auch von Amelie? Ihr Vater hatte darüber kein Wort verloren. Sollte sie es Basti heute sagen?
Als sie mit dem Fahrstuhl vom achten Stock ins Erdgeschoss fuhren, fragte er sie schlicht, „wie geht es dir?“
„Danke, ganz gut, ich war heute das erste Mal duschen“, erzählte sie stolz. Wieder schwiegen beide.
Draußen geschah etwas Eigenartiges mit Elisa. Sie schloss die Augen, atmete die frische Luft, spürte den Wind auf ihrer Haut, hörte die Vögel zwitschern, wie Blätter auf dem Weg raschelten und fühlte wie die Anspannung aus ihrem Körper verflog. Noch nie hatte sie in ihrem Leben so bewusst ihre Umwelt wahrgenommen, so bewusst genossen, wie in diesem Moment. Sie war unendlich dankbar dafür, dass sie noch am Leben war. Und verstand plötzlich nicht mehr, wie sie alles vor diesem dramatischen Ereignis einfach als gegeben und selbstverständlich hatte hinnehmen können. Nichts war selbstverständlich.
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