Fest der Herzen: Geständnis unterm Weihnachtsbaum / Schicksalstage - Liebesnächte
in letzter Zeit nur ein bisschen traurig. Das ist alles.“ Weil ich meine Mutter nie kennenlernen werde. Weil Weihnachten ein Desaster war .
Die Festtage hatten sich als Flop erwiesen. Schon seit Thanksgiving war kein einziger Gast in ihrem viktorianischen Bed and Breakfast abgestiegen. Dadurch war sie zwei Raten im Rückstand mit den Zahlungen an Brad, der ihr vor einigen Jahren ein Privatdarlehen für den Kauf der Frühstückspension gewährt hatte. Nicht, dass er wegen der Rückzahlung Druck auf sie ausübte. Er hatte ihr das Geld bedingungslos überlassen, aber sie bestand darauf, ihm jeden Cent zurückzuzahlen.
Darüber hinaus hatte sie seit sechs Monaten kein Wort von Jack McCall gehört. In einer schwülen Sommernacht hatte er seine Sachen gepackt und war sang- und klanglos verschwunden, während sie den letzten Liebesrausch ausgeschlafen hatte. Hätte er sie nicht wecken und ihr den Grund für den plötzlichen Aufbruch erklären können? Oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen? Oder vielleicht mal zum Telefon greifen und ein Lebenszeichen geben?
„Es ist wegen Mom“, vermutete Olivia. „Du trauerst um die Frau, die sie nie war, und das ist okay. Aber es könnte dir helfen, mit uns über deine Gefühle zu reden.“
Ashley wirbelte so aufgebracht auf dem Absatz ihrer Sportschuhe herum, dass die Gummisohlen auf dem frisch gebohnerten Fußboden quietschten. Dann fiel ihr ein, dass Aufregungenbei Hochschwangeren vermieden werden sollten, und sie schluckte ihre Wut und Verzweiflung hinunter. „Lass uns nicht wieder davon anfangen.“
Das Kätzchen krabbelte an ihrer Jeans hinauf. Spontan bückte sie sich und hob es hoch. Mit zuckenden Öhrchen, die sie am Kinn kitzelten, kuschelte es sich in ihre Halsbeuge und schnurrte wie von Batterien angetrieben.
„Du bist ziemlich sauer auf uns, oder? Ich meine, auf Brad, Melissa und mich.“
„Nein“, behauptete Ashley nachdrücklich. Eigentlich wollte sie das Kätzchen absetzen, doch sie brachte es nicht über sich. Irgendwie schaffte es das federleichte Wesen, dass sie sich auf einmal geborgen fühlte.
„Komm schon, sei ehrlich!“ Olivia lächelte ein wenig wehmütig. „Wenn ich nicht im neunten Monat wäre, würdest du mir an die Kehle springen.“
Ashley zögerte, denn sie wollte nicht in Selbstmitleid verfallen. Mit dem Kätzchen auf der Schulter setzte sie sich wieder auf den Stuhl. „Ach, es ist nur, dass einfach gar nichts klappt. Das Geschäft. Jack. Der verdammte Computer, den du mir aufgeschwatzt hast.“
„Das ist aber nicht alles. Mach mir nichts vor. Du weißt doch, dass ich sonst keine Ruhe gebe.“
Der Kessel dampfte und stieß ein schrilles Pfeifen aus. Mrs Wiggins erschrak und sprang mit einem kläglichen Miauen zu Boden.
Olivia stand auf und nahm den Kessel vom Herd. „Bleib sitzen. Ich mache den Tee.“
„Das lässt du schön bleiben.“
„Ich bin bloß schwanger, nicht behindert. Also sprich mit mir.“
Ashley seufzte. „Es muss furchtbar sein, so zu sterben wie Mom.“
„Delia war nicht bei Verstand. Sie hat nicht gelitten.“
„Sie ist gestorben, und niemand hat sich darum geschert.“
Olivia trat zu Ashley und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du warst noch sehr klein, als sie weggegangen ist. Du kannst dich nicht erinnern, wie sie war.“
„Ich erinnere mich, dass ich jeden Abend gebetet habe, dass sie wiederkommt.“
„Wir wollten alle, dass sie nach Hause kommt. Zumindest am Anfang. Aber die Wahrheit ist nun mal, dass sie es nicht getan hat. Nicht mal, als Dad bei dem Gewitter gestorben ist. Nach einer Weile sind wir sehr gut ohne sie zurechtgekommen.“
„ Du vielleicht. Ich nicht. Jetzt ist sie für immer fort. Ich werde nie erfahren, wie sie wirklich war.“
„Sie war …“
„Sag es nicht!“
Die unsichtbare Mauer baute sich erneut zwischen ihnen auf und änderte schlagartig die Atmosphäre.
Olivia wich zurück. „Sie hat getrunken. Sie hat Drogen genommen. Sie war nie bei klarem Verstand. Wenn du dich anders an sie erinnern willst, ist es dein Recht. Aber erwarte nicht von mir, dass ich die Geschichte umschreibe.“
Mit einem Handrücken wischte Ashley sich Tränen von den Wangen. „In Ordnung“, sagte sie steif.
„Es bedrückt mich, dass wir uns nicht mehr so gut verstehen wie früher. Es ist, als würden wir auf verschiedenen Seiten einer tiefen Kluft stehen.“ Olivia hantierte einen Moment am Schrank und kehrte mit einer dampfenden Kanne Tee und zwei Tassen zurück. „Brad
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