Feste feiern, wie sie fallen (German Edition)
alles kümmern, alles organisieren, diejenige sein, die alles meisterte. Und selbst den zur Reglosigkeit verdammten Rolf zeigte sie vor wie ein Projekt. Alles nur, um vor den anderen als perfekte Hausfrau zu gelten – und als wunderbarer Mensch natürlich.
Womöglich war Yvonne unnötig hart, doch sie hatte ihre Gründe. Direkt vor dem Essen hatte Bea sie zur Seite genommen und die Frechheit besessen, Yvonne zu erklären, dass sie und die Mädchen den nächsten Sommer nicht in dem kleinen Haus am See verbringen könnten. Wahrscheinlich wäre es Rolfs letzter Sommer auf Erden, und er würde gern so oft wie möglich dort sein. Das könne sie doch wohl verstehen? Yvonne wusste genau, worum es der Schwester eigentlich ging. Bea wollte sich das Haus unter den Nagel reißen. Sie wollte den großen Hof für den Winter und das kleine Haus am See für den Sommer. Das hatte sie schon immer gewollt. Dank Rolfs Krankheit würde Yvonne, egal, was sie sagte, als kaltherzig und kleinlich dastehen, wenn sie ihm seinen letzten Wunsch ausschlug, obwohl sie das Wohnrecht an dem Haus am See besaß und seit dem Tod der Eltern jedes Jahr einige Wochen dort verbrachte. Dieses Weihnachtsfest entwickelte sich allmählich zu einem Albtraum. Und dass Torkel sein halbes Büro eingeladen hatte, um nicht allein hier sein zu müssen, machte es auch nicht besser.
Sebastian hatte geplant, während des Essens neben Vanja zu sitzen. Er wollte die Dividende für sein dämliches Versprechen einheimsen, den Weihnachtsmann zu spielen. Aber sie suchte sich stattdessen einen Platz zwischen Lydia und einem Mann mit einem Baby auf dem Schoß. Vermutlich war sie auf Lydia neugierig, was er auch verstehen konnte. Es war beileibe nicht normal, dass er in Begleitung kam. Und es war eine dumme Idee gewesen, sie mitzunehmen, allerdings war er auf ihr Auto angewiesen. Jetzt hatte sie ihm auch noch den Platz weggenommen. Wütend begann er, sich nach einem freien Stuhl umzusehen. Bea winkte ihn zu sich. Sie saß neben ihrem an den Rollstuhl gefesselten Mann und zeigte auf den Platz gegenüber.
Das Elend schien überhaupt kein Ende zu nehmen.
Das Essen war gut und reichlich, genau wie der Schnaps. Nach einer Weile fiel Vanja auf, dass sie wohl etwas viel von dem eiskalten Aquavit konsumiert hatte, der in kleinen Flaschen auf dem Tisch verteilt stand. Ihr war ein wenig schwindelig, gleichzeitig fühlte sie sich aber so entspannt und ausgelassen, wie es ihr normalerweise gar nicht ähnlich sah. Sie unterhielt sich die ganze Zeit mit Lydia und hoffte, dass auch die bald angeheitert wäre. Das war leider nicht der Fall, doch Vanja gab nicht auf. Sie beugte sich ein wenig näher zu ihrer Tischnachbarin hinüber. Eigentlich zu nah, aber sie wollte alles wissen. Denn falls sich ein so unmöglicher Typ wie Sebastian ändern konnte, gab es noch Hoffnung für die Menschheit. Sie wollte wirklich verstehen, was Lydia hatte, das allen anderen Frauen fehlte. Lydia hatte sich ein wenig geöffnet, als sie erfahren hatte, dass Vanja und Sebastian Kollegen waren und nicht mehr, und einige Fragen zu seiner Arbeit gestellt. Merkwürdig, Sebastian schien ihr überhaupt nichts darüber erzählt zu haben. Sie wusste nicht mal, dass er nach einer mehrjährigen Pause wieder für die Reichsmordkommission arbeitete, was noch viel seltsamer war. Was für eine Beziehung hatten die beiden eigentlich? Vanjas Neugier wurde immer stärker, aber es war schwierig, Lydia etwas Aussagekräftiges zu entlocken. Die meiste Zeit über saß sie schweigend da und sah regelmäßig zu Sebastian hinüber, der sich mit der lachenden Gastgeberin zu amüsieren schien.
Das Gespräch floss nur zäh dahin. Vanja sah sich gezwungen, Sebastians schlechte Seiten und seine vielen Frauengeschichten zu verschweigen, also bauschte sie seine wenigen positiven Eigenschaften auf und betonte, welch einen Gewinn er für das Team darstelle. Wie intelligent und kompetent er sei. Unersetzlich. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Lobeshymnen zu ausschweifend und übertrieben gerieten, weil sie betrunken war. Sie versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren.
«Entschuldige, ich bin ein bisschen beschwipst», sagte sie. «Aber ich bin einfach so neugierig, du musst ja etwas ganz Besonderes sein, Lydia!»
«Ach ja?» Nun konnte Lydia ein geschmeicheltes Lächeln nicht verbergen.
«Ja, weißt du, normalerweise kann sich Sebastian nicht mal an die Namen der Frauen erinnern, mit denen er ins Bett geht …»
Der Satz war einfach
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