Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
treffen, die ihr Efeu pflegten. Aber eigentlich war es ihr auch egal, wo sie sich mit Katja traf. Es war immer lustig und überraschend. Noch überraschender fand sie es allerdings, als plötzlich eine Gruppe junger Leute um die Friedhofsecke kam, die alle ungefähr Paulas Alter hatten. Sie waren ziemlich modisch gekleidet, redeten laut und überholten sie. Ohne die Deutsche eines Blickes zu würdigen, gingen sie an ihr vorbei durch das Friedhofstor, an dem Katja bereits auf sie wartete. »Wahrscheinlich pilgern sie zum Jim-Morrison-Grab«, meinte Katja, die Paulas verwundertem Blick gefolgt war.
Eine Zeitlang schlenderten sie schweigend durch die Grabreihen, beide wurden sehr nachdenklich. »Es ist schon merkwürdig, wie sehr man mit dem Land seiner Herkunft in Verbindung gebracht wird. Ich frage mich, ob man das jemals hinter sich lassen kann«, sagte Paula in Gedanken versunken. »Wozu denn?« Katja war ebenfalls nachdenklich geworden. »Wichtiger ist doch, dass es positive Dinge sind, die einen ausmachen. Meistens hat das ja sowieso nichts mit den Vorurteilen zu tun, die andere dir gegenüber haben.« Katja schien schon öfter darüber nachgedacht zu haben. »Wie meinst du das genau?«, wollte Paula wissen. »Die Franzosen haben ein merkwürdiges Bild von den Deutschen. Mir fällt ad hoc ein Erlebnis ein, das ich mal hatte.« Paula konnte von Katjas Geschichten nicht genug bekommen. »Schieß los!«, sagte sie.
»Also, jedes Mal, wenn wir in den Urlaub fahren, wird unsere kleine Tochter krank.« Jetzt konnte Katja darüber lachen, die Kinder waren in der Ecole maternelle (Kindergarten und Vorschule) und sie saß gemütlich mit Paula beim Thermoskannenkaffee in dickem Schal und Mütze auf einer Friedhofsbank. »Wir kamen aus einem Urlaub zurück und wollten gleich weiter zu Matthieus Bruder André und dessen Familie. Im Flieger nach Paris bekam die Kleine Durchfall, ich verbrachte den Flug praktisch vor und in der Toilettenkabine. Trotz des Kleinkindes in meinen Armen wurde ich argwöhnisch beäugt, der Eingang zum Cockpit befand sich schließlich gleich neben der Toilette. Aber die einzige Form von Terrorattacke ging von dem Gestank der Windeln aus.« Sie musste lachen und Paula lachte mit. »Als wir dann bei Matthieus Bruder ankamen, hatte ihr die Klimaanlage im Flugzeug arg zugesetzt, sie hustete und hatte eindeutig Bronchitis. Andrés drei Kinder hatten sich sehr auf die halb-französische Cousine gefreut, die jetzt allerdings mit übelster Laune nur noch auf dem Arm getragen werden wollte. Verständlich. Aber so ein kleines heulendes und schreiendes Kind kommt gar nicht gut an. André und seine Familie wohnen in Buc, das liegt in der Nähe von Versailles. Die etwas noblere Elite von Paris hat sich hier ihre Vorstadthäuschen erkämpft – mit Garage, Garten und Heckenrosen.« »Ja, ich kenne Buc«, warf Paula ein, »zumindest weiß ich, wo das ist.«
»Dort kommt man sich vor wie in den Staaten: weit und breit keine Geschäfte, Kneipen oder öffentliche Einrichtungen. Selbst zum Briefkasten muss man mit dem Auto fahren. Schließlich fuhr mich meine Schwiegermutter zurApotheke, während sich Matthieu zu Hause mit dem Rest der Familie schon mal auf die gemeinsame Zeit einstimmte. Warum wir die Aufgaben nicht anders verteilt hatten, fragte ich mich, als ich der Apothekerin gegenüberstand und ihr versuchte zu erklären, was meine Tochter denn nun für Krankheitssymptome aufwies. Fieberzäpfchen, das heißt suppositoire . Doch die Apothekerin wollte das Krankheitsbild genau beschrieben haben. Ich fing also an zu erklären: Durchfall ... – bei diesem Wort half mir meine Schwiegermutter –, Husten, Bronchitis. › Elle a un nez qui coule? ‹ (Läuft auch die Nase?) Ein bisschen. › Avez-vous déjà utilisé un mouche-bébé? ‹ (Benutzen Sie bereits ein mouche-bébé ?) Mouche heißt Fliege. Die Babyfliege? Für die Nase? Ich schaute sie ratlos an, schüttelte den Kopf. Sie blickte mit großen Augen zurück: › Vous n’avez pas de mouche-bébé? ‹ (Haben sie gar kein mouche-bébé ?) Die Frage klang wie: ›Wie, Sie haben gar kein fließendes Wasser zu Hause?‹ und ärgerte mich. Dabei überschlug sich die Apothekerin in Freundlichkeit und lächelte mich gleichzeitig mitleidig an. Ohne zu zögern holte sie jetzt eine Schachtel aus dem Regal, öffnete sie und zeigte stolz eine Plastikapparatur. Dort war an einer Saugvorrichtung ein Plastikschlauch angebracht, und durch einen Unterdruck konnte man damit
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