Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
lustig zu machen, oder ob sie langsam selbst paranoid wurde. Während sie darüber nachdachte, biss sie plötzlich mit voller Wucht auf etwas Hartes. Es gab ein lautes Knacken und Paula schrie unwillkürlich auf, das war die Plombe! Oder der ganze Zahn? Was war denn das bloß für ein Kuchen? Alle starrten sie an: » Mais, c’est elle! C’est Paula! « (Sie ist es! Es ist Paula!), riefen die Bouchards.
Ein Champagnerkorken knallte und Gläser füllten sich. Paula nahm ihre Serviette und versuchte vorsichtig, ihre Plombe aus dem Mund zu fischen und dabei nicht den ganzen Kuchen mit auszuspucken. Doch was da auf ihrer Serviette landete, war keine Zahnfüllung, sondern eine kleine Porzellanfigur. Paula konnte es nicht fassen. Wie kam denn bitte eine Porzellanfigur in den Kuchen und wieso landete dieses Stück ausgerechnet auf ihrem Teller? Das war immerhin ein kleiner Anschlag auf ihre Zähne! Doch bevor sie aufstehen und zur Toilette eilen konnte, wurde sie auch schon von Marie und Stéphane umringt. Die setzten ihr eine Krone auf und die ganze Familie hob das Glas und rief » Vive la reine, vive la reine! « (Es lebe die Königin!). Paula spürte, wie sie rot anlief, wahrscheinlich sogar dunkelrot. Sie nahm schnell das Glas Wasser vor sich, um es auf ex zu trinken, doch kaum hatte sie zum Trinken angesetzt, da riefen auch schon alle: » La reine boit, la reine boit! « (Die Königin trinkt!) Paula verschluckte sich prompt am Wasser und begann wie wild zu husten. Sie hörte gar nicht mehr auf, die Krone fiel hinunter und Paula wollte fluchtartig den Tisch verlassen. Doch Stéphane hielt sie auf und klopfte ihr auf den Rücken. Marie setzte ihr die Krone wieder auf. Was war das nur für ein komisches Schauspiel, in das ich da geraten bin, fragte sich Paula verzweifelt. Jetzt brauchte sie dringend einen Schluck Champagner. Doch kaum hatte Paula das Glas an die Lippen gesetzt, ging es schon wieder los. » La reine boit, la reine boit! «, riefen alle belustigt und aufgeregt und hoben ihre Gläser, um ebenfalls zu trinken. Wurde sie jetzt auch noch nachgeahmt? Paula schaute in lachende Gesichter. » Qu’est-ce que ça veut dire? « (Was soll das alles bedeuten?), fragte sie schließlich und schon begannen die Bouchards mit einer Erklärung.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Am 6. Januar wird in Frankreich traditionell dasDreikönigsfest begangen: l‘épiphanie . Epiphaneia ist griechisch und bedeutet »Erscheinung«. Diese »Erscheinung des Herrn« hatten die Heiligen Drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar, als ihnen am 6. Januar die Geburt des Christuskindes offenbart wurde. Um dieses Ereignis zu würdigen, wird in Frankreich noch heute die galette des rois , der Königskuchen, gebacken. Er besteht aus Blätterteig und Marzipan und darin wird eine fève (Saubohne) eingebacken. Das ist das kleine Etwas, auf das Paula gebissen hat. Die fève war ursprünglich wirklich eine Saubohne, heute nimmt man dafür eine kleine Porzellanfigur. Wer das Kuchenstück mit der Figur erwischt, wird zum König oder zur Königin erklärt, bekommt eine Krone auf den Kopf gesetzt und wird für den Rest des Abends als König behandelt. Die Franzosen machen daraus eine Riesengaudi, je nach Familie wird der König etwas anders gefeiert. Meistens schreien die anderen begeistert, wenn der König sein Glas an die Lippen führt, » le roi boit, le roi boit! « (der König trinkt!). Ob diese Sitte auf die Römer oder auf das Mittelalter zurückzuführen ist, bleibt ungeklärt, fest steht, dass das tirer les rois (Könige ziehen) wie ein nationales Brauchtum gehandelt wird. Ob zu Hause, bei Freunden, den Verwandten oder sogar im Büro – überall werden Könige geboren. Meistens wird daraus ein lustiges Schauspiel, denn eigentlich wird immer Champagner dazu getrunken. Einer muss unter den Tisch, denn der ist dann tatsächlich »unparteiisch« und sieht nicht, wer das Stück mit der kleinen fève bekommt. Irgendwie schaffen es die Eltern aber doch immer, dem kleinsten Kind das Figürchen und damit die Krone zukommen zu lassen.
Während früher wirklich nur am 6. Januar selbst die Könige gezogen wurden, hat man aus dieser Tradition längst ein Event gemacht und das Fest bis Mitte/Ende Januar ausgedehnt. Die schlauen Bäcker haben nämlich längst erkannt, dass die einstigen Revolutionäre doch gerne alle für einen Tag König oder Königin seien wollen, und damit auch alle drankommen können, verkaufen sie ihre Königskuchen zwei Wochen
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