Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
doch nicht an. Mit jedem Satz wurde ich nur unfreundlicher und genervter und bestätige damit nur weitere Vorurteile gegenüber den Deutschen. Von denen ich jetzt ahnte, dass sie ganz schön tief saßen. Am Ende rang ich mir noch ein halbwegs freundliches Merci, au revoir! ab und fragte mich, wie man sich ausgerechnet mit einer Apothekerin so streiten konnte. Eins wusste ich sicher: In diese Apotheke würde ich nie wieder einen Fuß setzen. Im Auto sagte ich zu meiner Schwiegermutter: › Elle était insupportable. Elle m’a perdu comme cliente. ‹ (Diese Frau ist unerträglich. Sie hat mich als Kundin verloren.) Meine Schwiegermutter warf mir einen verständnislosen Blick zu und schwieg höflich.«
Paula schüttelte den Kopf. Jetzt waren sie an Jim Morrisons Grab angekommen. Das war unschwer daran zu erkennen, dass eine Horde pubertierender Jungs und Mädels davor saß und weinend »This Is The End« aus einem Ghettoblaster hörte, während sie einander fest an den Händen hielten.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Hier treffen verschiedene Höflichkeitsvorstellungen und natürlich Vorurteile aufeinander. Die Apothekerin war wahrscheinlich selbst noch nie in Deutschland und hat ihre Vorurteile, die es in dieser Form in Frankreich nach wie vor gibt (genauso übrigens wie wir uns »den Franzosen« stereotyp vorstellen), anhand von Katja bestätigt gesehen. Deutsche essen Bionahrung, was so viel heißt wie verschrumpeltes Essen. Sie machen einen auf natürlich, sind also einfach in ihrer ganzen Art, schminken sich kaum, entfernen sich nicht die Haare, kleiden sich wenig elegant und sind kulturell noch nicht da, wo die Franzosen sind ...
Freundlichkeit und Höflichkeit werden in Frankreich besonders groß geschrieben und gelten als positive Charaktereigenschaften. Wer freundlich bleibt, ist praktisch unantastbar. Auch wenn er oder sie sich dabei bis hin zur kompletten Naivität verstellen muss. Wer nicht mehr freundlich ist und sich gehen lässt, der lässt seinen »animalischen Trieben« freien Lauf und hat damit schon verloren. Höflichkeit und Freundlichkeit können Franzosen, besonders Französinnen, durchaus als Waffe einsetzen.
Die Apothekerin hat zunächst nur helfen wollen. Wenn man einer französischen Apothekerin von einem kranken Kleinkind erzählt, dann versucht sie automatisch, den Arzt zu ersetzen und in diesem Fall die Mutter mit der »Grundausstattung« zu versorgen, um ihr dadurch eine Sicherheit zu geben. Dass Katja diese »Grundausstattung« und damit die gesamte Elternschaft Frankreichs in Frage stellt, kann sie natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Hustensaft für Babys und Kleinkinder ist übrigens tatsächlich mittlerweile umstritten und kommt in Kinderkliniken auch in Deutschland kaum noch zum Einsatz.
Was können Sie besser machen?
In Deutschland ist es genau umgekehrt: Wer unfreundlich ist, hat meistens recht. Überspitzt formuliert natürlich. Ob das der Busfahrer oder die Kassiererin ist – wenn jemand unfreundlich wird, schüchtert er damit den anderen ein. In Frankreich funktioniert das nicht so. Wenn jemand unfreundlich wird, ist es eher ein Zeichen dafür, dass er die Contenance verliert und sich dem Gespött preisgibt. Wenn man das weiß, kann man sich vielleicht in manchen Situationen ein wenig besser zusammenreißen und versuchen, höflich zu bleiben, auch wenn einem innerlich der Kragen platzt. Am besten ist es, sich nicht auf Grundsatzdiskussionen zum Thema »Wer ist besser?« einzulassen. Katja hätte auf diese mouche-bébé- Diskussion einfach nicht einsteigen müssen.
Die Franzosen meinen, sie seien den Deutschen überlegen, und die Deutschen finden im Gegenzug die Franzosen arrogant und eitel. Ganz wird man diese Vorurteile nicht aus der Welt schaffen können, aber man kann sein Gegenüber mit untypischen Reaktionen überraschen. Das kann sogar noch mehr Spaß machen und befriedigender sein, als wütend zu werden.
43.Königskuchen
Warum Paula beim Abendessen unterm Tisch landet
Die Ferien in Deutschland waren toll gewesen. Paula hatte mit ihrer Familie schöne Stunden verlebt, Eva und Manni hatten sogar plötzlich von Frankreich geschwärmt. Die ganzen negativen Erinnerungen waren entweder schon zu Legenden geworden oder ins Positive verkehrt. Paula amüsierte das. Gemeinsam waren sie im Schnee spazieren gegangen, hatten Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt getrunken, die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet und sich nach einer knusprigen Gans ihre Geschenke
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