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Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt

Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt

Titel: Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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Arbeitsbedingungen. Das gilt auch für seine Interpretation, dass junge Spanier ihr Einkommen lieber in den gastronomischen Betrieben ausgeben als für eine eigene Wohnung zu bezahlen. Da musste Neus schon schlucken.
    Es ist in der Tat nicht so, dass die jungen Spanier alle freiwillige Nesthocker wären. Niedriglöhne, teure Wohnungen und befristete Arbeitsverträge – sie heißen auch contratos basura , Müllverträge – erschweren den Auszug aus dem Elternhaus. Die Mehrheit der 18- bis 35-Jährigen kann sich gar nicht unabhängig machen, so sehr sie es auch möchte. Das wirtschaftliche Risiko und die Ungewissheit, ob sie eine feste Stelle und kontinuierliche Arbeit finden, sind zu groß. So müssen die meisten zu Hause bleiben, bis sie einen Partner haben, mit dem sie zusammenleben und ihr Leben gemeinsam finanzieren können.
    Dass Tom dann auch noch beim Kellner unangenehm auffiel, als er una cola bestellte, machte auch nichts besser. Cola heißt im Spanischen »Schwanz«, weshalb man tunlichst eine coca-cola bestellen sollte.

    Teures Wohnen
    Das spanische Lohnniveau liegt weit unter dem unseren, d.h. Spanier verdienen in der Regel deutlich schlechter als wir in vergleichbaren Berufen und Positionen. Dennoch besitzen 84 % aller Spanier Wohneigentum. Das sind fast doppelt so viele wie bei uns. Immobilien sind in Spanien auch nicht billiger als in Deutschland, zumindest in den Ballungszentren nicht. Wie das geht? Das weiß eigentlich niemand so recht. Die meisten müssen jedenfalls weit mehr als die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen, d.h. für das Abbezahlen eines Kredits ausgeben, während es in Deutschland nur etwa ein Drittel ist. Das lässt das Budget zum Leben und Konsumieren empfindlich schrumpfen, ändert aber (noch) nichts an der Tatsache, dass Spanien immer noch das Land mit der größten Kneipendichte in Europa ist.

    Und wie geht es weiter?
    Nach einer peinlich langen Schweigepause macht Tom noch einmal einen Versuch, das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
    »Ja, weißt du, ich frage mich eben, wie ihr Spanier das alles schafft. Finanzkrise, Immobilienkrise, Arbeitslosigkeit. Im Moment sind es doch um die 20 Prozent. Ist das nicht schrecklich?«
    »Ja, das ist schrecklich. Finde ich auch.« Neus nimmt einen großen Schluck Bier. Hoffentlich spült sie damit ihren Ärger hinunter, für den sich Tom irgendwie verantwortlich fühlt, ohne genau zu wissen, weshalb. »Bei den jungen Leuten unter 25 sind es sogar 40 Prozent Arbeitslose. Kannst du dir das überhaupt vorstellen?«
    Tom schüttelt den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Bekommst du denn eigentlich Kindergeld für Laura?«
    »Kindergeld? Was ist das denn? Gibt es in Spanien nicht. ► Dafür zahlen wir schon in der Vorschule Schulgeld. Und in der Schule dann die Bücher. Hast du eine Ahnung, was uns der Schulanfang für ein Kind kostet? Bis zu 500 Euro, wenn auch noch die Schuluniform dazukommt. Und das nicht einmal, sondern jedes Jahr wieder. Ganz ehrlich? Ich weiß selbst nicht, wie wir das schaffen mit unseren Gehältern. Klar, die Leute kaufen viel auf Kredit, darin sind die Spanier schon fast so gut wie die Amerikaner. Und die Familien helfen einander, wo es nur geht. Hey, jetzt ist aber Schluss mit diesen Themen, sonst vergeht mir noch der Appetit. Denn weißt du, was eigentlich das spanische Lebensmotto ist?«

    Kinder zu haben ist in Spanien noch mehr Luxus als bei uns. Kindergeld gibt es nicht. Familien- wie Sozialbeihilfen nur für die Allerärmsten. Niedriglöhne und hohe Wohnungskosten sind auch nicht gerade förderlich, weshalb die Geburtenrate dramatisch gesunken ist. Paare, egal ob verheiratet oder nicht, haben entweder keine Zeit, weil beide berufstätig sind, oder kein Geld oder beides zusammen, um Kinder zu bekommen und großzuziehen. Kinderkrippe ( la guardería ), Vorschule, Schule, alles kostet Geld. Die zweimonatige Sommerpause in diesen Einrichtungen stellt Eltern zudem vor ein Riesenproblem, das nur mithilfe der Familie oder noch mehr Geld für private Kinderbetreuung gelöst werden kann. Ein Teufelskreis für Normalverdiener.

    »Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen?«
    Neus schüttelt den Kopf. »Quatsch! Obwohl es natürlich stimmt.«
    »Liebe geht durch den Magen?«
    Sie lacht. »Also, wer denkt hier eigentlich ständig ans Essen? Ich würde sagen, unser Motto ist: Carpe diem – Nutze, oder besser noch: Genieße den Tag! Wir sind eben Südländer. Mediterran, auch wenn das Mittelmeer 400 Kilometer von

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