Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
enttäuschen. Das machen wir doch alle, ständig, und bei jedem. Das heißt gar nichts. Aber sie gefällt dir, oder?«
»Wer? Neus? Na ja, schon.«
»Dann geh doch mal mit ihr aus.«
»Das sagst du so locker. Kannst du mir auch sagen, wie ich das anstellen soll?«
»Ach, Tom, wirklich. Du gehst rüber, siehst dir ihren PC an und fragst, ob sie mit dir ausgeht. Ligar , anbändeln auf Spanisch, geht doch auch nicht anders als auf Deutsch, denke ich.«
Tom verdreht die Augen. Aber vor der Mittagspause geht er wirklich rüber in die Grafikabteilung. Und kommt kurz darauf beschwingt zurück.
»Und, hast du sie gefragt?«, will Javi wissen.
»Sie war schneller als ich«, grinst Tom und Javi klopft ihm anerkennend auf die Schulter. »Na siehst du«, sagt er, »die españolas sind eben emanzipiert. Wenn die sich etwas in den Kopf gesetzt haben, ziehen sie’s durch.«
Um 20 Uhr holt Tom Neus von zu Hause ab. Sie öffnet ihm im kurzen schwarzen Kleid die Tür.
»Oh, hallo! Also äh, du siehst fantastisch aus! Das Kleid steht dir aber wirklich gut«, stottert Tom.
»Findest du? Das habe ich bei den Rebajas (Schlussverkauf) im Corte Inglés ganz billig gekauft.«
Auf Komplimente reagiert man in Spanien eher zurückhaltend und abwiegelnd. So wie man nicht prahlt, so stellt man sich auch nicht in den Vordergrund und sonnt sich in Komplimenten und Schmeicheleien. Vornehme Zurückhaltung und ein gewisses Understatement sind eher üblich.
Tom wundert sich über die große konservativ eingerichtete Wohnung. »Hier wohnst du also mit deiner Tochter?«
»Ja. Und mit meiner Mama, meinem Papa und meinem kleinen Bruder.«
»Ach«, sagt Tom, »immer noch Hotel Mama, was?« Er überlegt wieder einmal, wie alt Neus wohl ist. Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. »Ich bin ja schon mit zwanzig von zu Hause ausgezogen. Meine erste Studentenbude war super. Endlich frei!«
»Und deine Wäsche hast du wahrscheinlich am Wochenende zu Mami zum Waschen gebracht«, antwortet Neus etwas schnippisch. »Also Bequemlichkeit ist nicht der Grund dafür, dass ich immer noch zu Hause wohne.«
»Ist es wegen deiner Tochter?«, fragt Tom.
»Nein, es ist schlicht eine Frage der Finanzen, wenn du verstehst, was ich meine. Wohnungen in Madrid sind sehr teuer.«
»Verdienst du denn nicht genug in der Firma, dass du dir eine eigene Wohnung leisten kannst?« Oh, das war jetzt ziemlich direkt gefragt.
»Wir jungen Angestellten in Spanien sind doch in der Mehrzahl mileuristas . Wir verdienen nicht viel mehr als mil euros , 1.000 Euro. Wie soll man damit eine eigene Wohnung finanzieren? Aber jetzt lass uns gehen und über angenehmere Dinge reden. Nutzen wir die Zeit, meine Eltern sind heute canguros für meine Tochter.«
»Wie, Kängurus?« Tom blickt nicht mehr durch.
»Sie sind mit Laura im Kino und spielen Babysitter.«
»Ach so, sie sitzen da mit deiner Kleinen im Beutel, stimmt’s?« Tom grinst.
Es ist Freitagabend. Auf den Straßen und Plätzen ist Hochbetrieb, die Terrassencafés sind voll. Tom und Neus entdecken einen freien Tisch und setzen sich. Neus bestellt sich una caña und Tom una cola . Nanu, warum guckt ihn denn der Kellner so merkwürdig an? Tom sieht zu Neus. Sie hat rote Bäckchen bekommen. Seltsam. »Ist was?«, fragt Tom. Neus schüttelt den Kopf.
»Weißt du was?«, fragt Tom. »Ich habe gerade noch mal über die mileuristas nachgedacht. Wenn das stimmt und ich mich so umsehe, dann finde ich es schon erstaunlich, was ihr Spanier euch alles leisten könnt für eure mil euros oder auch ein bisschen mehr: Topkleidung« – er wirft noch einmal einen anerkennenden bis begehrlichen Blick auf Neus’ Kleines Schwarzes mit dem raffinierten Dekolleté –, » cafés, cañas, tapas hier und tapas da ..., also, das sieht doch eher nach einem sorglosen Leben als nach schwieriger wirtschaftlichen Lage aus!«
Neus wirft ihm einen bösen Blick zu. Zum Glück kommt der Kellner und serviert una caña y una coca-cola .
Was ist da schiefgelaufen?
Toms Verdacht, Neus liege lieber faul in der sozialen und von ihren Eltern finanzierten Hängematte herum, als einen eigenen Hausstand zu gründen, ging schon mal gründlich an der Realität vorbei. Dass er dann quasi noch unterstellte, dass sie an ihrer Arbeitsstelle zu wenig verdiene, sei ihre eigene Schuld, und sie müsse sich nur eine andere, besser bezahlte Stelle suchen, war nicht nur uncharmant, sondern zeugte auch von einer Unkenntnis der aktuellen spanischen Lebens- und
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