Fettnäpfchenführer Spanien - Wie man den Stier bei den Hörnern packt
irgendwie Lotterie-verrückt zu sein, denn beim Essen reden wieder mal alle durcheinander, jeder erzählt von seinen Glückszahlen, an welcher Straßenecke die Verkäufer mit den gewinnverdächtigsten Losnummern stehen und so fort. Tom schwirrt bald der Kopf. Schließlich sagt ihm noch ein Kollege, er solle nach Sort in Katalonien fahren. Sort bedeute Glück, und viele der Gewinnerlose kämen jedes Jahr genau von dort.
»Sind die denn alle verrückt geworden?«, denkt Tom. Aber kaum hat er seine ersten décimos in der Brieftasche stecken, natürlich bei verschiedenen Verkäufern gekauft, merkt er, wie ihn das Fieber packt. Und schließlich streicht auch er sich den 22. Dezember mit einem dicken roten X im Kalender an.
Sorteo de Navidad – die spanische Weihnachtslotterie
Die spanische Weihnachtslotterie ist wahrscheinlich die größte Lotterie der Welt und auch eine der ältesten. Es gibt sie seit 200 Jahren. Zwei Tage vor Heiligabend, am 22. Dezember, werden Gewinne von über 2,2 Milliarden Euro gezogen. Auf den Hauptpreis, el Gordo (der Dicke), entfiel 2006 ein Gewinn von 540 Millionen Euro. So viel Geld bekommt aber nie nur eine Person, denn die fünfstelligen Loszahlen werden in mehreren Serien aufgelegt. Es gibt dieselbe Nummer also mehrfach. Weil ein ganzes Los sehr teuer ist (200 Euro), kaufen die Leute außerdem Zehntellose für 20 Euro. Daher gibt es auf ein Glückslos immer mehrere Gewinner. Da Lose zudem häufig in Wettgemeinschaften gekauft werden, teilt sich der Gewinn noch weiter auf. Manchmal gewinnen ganze Dörfer oder Firmenbelegschaften pro Kopf einen sechsstelligen Eurobetrag. Es ist schon vorgekommen, dass es in der Folge örtlich zu einem dramatischen Anstieg der Immobilienpreise kam.
Die Ziehung der Gewinnlose wird im Fernsehen übertragen und dauert geschlagene drei Stunden. Sie folgt dem immer gleichen Ritual: Altmodisch dezent gekleidete Schüler aus dem Madrider Colegio de San Ildefonso treten vor die Kameras und singen die Nummern, die gezogenen werden. Das ist keine Show und kein Singwettbewerb, sondern klingt eher wie eine Litanei in einer katholischen Kirche. Dennoch sitzen alle Losbesitzer, also ca. 98 % aller Spanier, wie elektrisiert vor dem Fernsehgerät und fiebern mit. Die Gewinnchance für den Gordo liegt etwa bei 1 zu 85.000. Wer dann einen größeren Gewinn gemacht hat, erzählt vor laufenden Fernsehkameras haarklein, wann genau, wo genau und bei wem er sein Los gekauft hat, und verspricht, das ist Ehrensache, eine angemessene Spende für die Niños de San Ildefonso . Früher waren die Kinder dieser Schule alle Waisen. Heute stammen viele von ihnen aus ärmeren Familien. Sie können die Zuwendungen der Lottogewinner also gut brauchen.
Allmählich kommt tatsächlich auch in Madrid Weihnachtsstimmung auf, in den Geschäftsstraßen leuchten Lichterketten, luces de Navidad , und blinkende Sterne, und auf der Plaza Mayor ist seit Ende November ein mercadillo de Navidad , ein Weihnachtsmarkt, aufgebaut.
»Schade eigentlich, dass es überhaupt nicht nach Schnee aussieht«, sagt Tom. »Das kann ja noch kommen«, prophezeien ihm Javi, und die Kollegen bestätigen kopfnickend, dass das in Madrid wirklich passieren kann und Javi nicht nur geflunkert hat.
Von den Kollegen erfährt Tom, dass der 6. Dezember in Spanien Feiertag ist. Stimmt ja, Nikolaus, fast hätte er es vergessen, wahrscheinlich weil es draußen so mild ist. Er kauft am Vortag bei Lidl um die Ecke einen Schokoladen-Nikolaus in rotem Stanniolpapier und stellt ihn während der Mittagspause auf Neus’ Schreibtisch.
Kurz darauf bekommt er eine E-Mail: Gracias por el Santa Claus . »Woher willst du wissen, dass er von mir ist?«, fragt Tom, als Neus ihn in seiner Abteilung besucht.
»Weil es bei uns keinen Santa Claus gibt und du ihn bei Lidl oder Aldi gekauft haben musst.«
»Wie, gibt es nicht? Morgen ist doch Feiertag.«
»Ja, morgen ist Feiertag, du sabelotodo (Schlauberger), nämlich Nationalfeiertag. Día de la Constitución , Tag der Verfassung.« Mit roten Ohren sieht Tom dabei zu, wie Neus den Santa Claus aus seiner raschelnden Verpackung befreit und genüsslich verspeist.
»Ach, übrigens: Fährst du Weihnachten nach Hause, zu deiner Familie?«
»Geht leider nicht«, sagt Tom. »Kein Urlaub, zu viel Arbeit, Deadline für das aktuelle Projekt ist der 2. Januar. Bis dahin bleibe ich hier. Sag mal, kannst du nicht vor Weihnachten die Betten einmal richtig aufschütteln?«
» ¿Ehhhh? «
»In einem
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