Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
kriege.
»Was meinen Sie?« Eine Frauenstimme.
Ich mache die Augen auf und sehe eine Frau, die Krankenschwesternklamotten anhat, aber in einer ganz anderen Farbe als die anderen hier. Alle tragen hellblau und sie hellgrün. Wohl die Sachen falsch gewaschen.
»Guten Abend. Entschuldigen Sie die späte Störung. Die Runde hat heute länger gedauert. Ich bin ein grüner Engel.«
Wie bitte? Sie ist offensichtlich aus der psychiatrischen Abteilung ausgebrochen. Ich gucke sie nur an. Ich denke, sie spinnt, und lasse sie in dem Glauben. Mein Arsch tut sehr weh. Immer weher. Das wäre das Einzige, was ich ihr sagen könnte. Super Gespräch. »Ich bin ein grüner Engel.« »Ja. Und mir tut der Arsch weh.«
Mit halbgeöffneten müden Omaaugen beobachte ich sie weiter. Ich finde, sie redet sehr langsam und hängt an jedes Wort ein kleines Echo.
»Das bedeutet, dass ich eine Freiwillige bin, die den Leuten hier im Krankenhaus das Leben ein bisschen erleichtert. Wir grünen Engel ... « Die sind mehrere! »... machen für die Patienten Besorgungen, laden die Telefonkarten auf, gehen zum Briefkasten und solche Sachen.«
Sehr gut.
»Können Sie mir Schmerzmittel geben?«
»Nein, dazu sind wir nicht befugt. Wir sind keine Krankenschwestern. Wir sehen nur so aus wie welche«, sie schnauft einmal durch die Nase, soll wohl ein Lachen sein.
»Bitte gehen Sie raus. Es tut mir leid, ich habe Schmerzen und warte auf den Pfleger und Mittel. Sonst bin ich netter. Ich rufe Sie an, wenn ich was will.«
Beim Rausgehen fragt sie: »Wo wollen Sie anrufen?«
Weg. Ruhe.
Ich halte es nicht mehr lange aus. Ich atme tief die Luft ein. Und puste sie laut wieder raus. Meine Hand wandert zum Venushügel, und ich ziehe die Knie bis zur Brust. Obwohl diese Stellung mir wehtut, bleibe ich weiter so liegen. In den Schmerz mit dir, Helen. Die andere Hand lege ich auf den gespannten Arschkrater. Ist doch schlimm hier. Ganz schön einsam und angsteinflößend, so Schmerzen. Ich denk, in Deutschland muss kein Patient im Krankenhaus Schmerzen haben, ich denk, hier gibt es so tolle Mittel für jeden. Ich klingele meine Schmerzbimmel. Peter kommt gerannt. Entschuldigt sich, dass es so lange gedauert hat. Er konnte den Professor erst nicht erreichen. Er hat rausgefunden, dass die Tagesschicht einen Fehler gemacht hat. Ich hätte eigentlich einen elektronischen Selbstdosierer für Schmerzmittel bekommen sollen. Da schließt der Anästhesist einen dran an, dann kann man per Daumenklick selber die Dosis bestimmen, die in die Armkanüle fließt. Die haben das vergessen. Vergessen? Ich bin denen ausgeliefert. Vergessen. Und jetzt?
»Du bekommst die ganze Nacht auf Anfrage starke Tabletten. Hier ist die erste.«
In den Mund damit und mit der letzten Bierpfütze runtergespült. Peter räumt den Pizzakarton weg. Er hat bestimmt vergessen, dass er auch für den Sondermüll zuständig ist. Das Krankenhaus des Vergessens. Meine Schmerzmittel vergessen, mein Gulasch vergessen. Mal gucken, was noch alles vergessen wird. Die halb gegessene Pilzpizza liegt obendrauf und verdeckt alles. Mein Gulasch landet jetzt im normalen Hausmüll. Finde ich gut. Ich sage nichts. Er räumt auch die Bierflaschen weg, ganz leise, damit sie nicht gegeneinander klimpern. Sehr zart, dieser Peter.
Von den Schmerzen ziehen sich die Muskeln oben an
den Schultern bis zu den Ohren hoch und sind stramm gespannt wie ein Gummiband. Jetzt, nach der Tablette, gehen die Muskeln langsam wieder runter, und ich kann besser atmen. Ich müsste eigentlich noch pinkeln vom Bier, aber ich kann nicht aufstehen. Egal. Ich schlafe ein.
Als ich wach werde, ist es noch dunkel. Ich habe keine Uhr. Doch, im Fotoapparat ist eine. Ich mache ihn an, mache ein Foto vom Raum, und wenn ich mir das angucke, dann steht das doch immer da, oder? 2.46 Uhr. Schade, ich hatte gehofft, dass ich mit der Tablette die ganze Nacht durchschlafe. Hat Peter mehr Tabletten hier gelassen?
Ich mache das Licht an. Es ist schrecklich hell und weiß. Mir ist schwindelig. Wahrscheinlich sind diese Schmerztabletten, die ich hier kriege, sehr stark. Habe Probleme, klar zu denken. Meine Augen haben sich an das Albtraumlicht gewöhnt. Warum habe ich das gerade gemacht mit der Uhrzeit und dem Fotoapparat? Ich habe doch ein Handy hier. Komisch bist du manchmal, Helen. Muss an den Medikamenten liegen. Hoffentlich. Ich sehe eine Tablette in dem kleinen Plastikbecher auf dem Nachtschrank liegen. Runter damit. Kann ich bestimmt auch ohne
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